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Die Tote ohne Namen

Die Tote ohne Namen

Titel: Die Tote ohne Namen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Patricia Cornwell
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hin, daß die Mülltüte mit einem Schnürsenkel um seinen Hals gebunden war.
    »Was steht in dem Brief?« fragte der Detective, der einen dunklen Mantel mit Gürtel, Cowboystiefel und eine goldene Rolex trug, die mit Sicherheit gefälscht war.
    »Ich hab ihn noch nicht angerührt«, sagte ich. »Ich hielt es für klüger zu warten, bis Sie da sind.« »Wir sehen besser mal nach«, sagte er.
    Mit behandschuhten Händen zog ich den Umschlag vorsichtig aus der Tasche, berührte so wenig Papier wie möglich. Ich erschrak, als ich meinen Namen und meine Privatadresse sah, ordentlich mit schwarzer Tinte geschrieben. Zudem klebte eine Briefmarke auf dem Umschlag. Ich trug ihn zu der Platte an der Wand, schlitzte ihn vorsichtig mit einem Skalpell auf und faltete ein Blatt des Briefpapiers auseinander, das mir mittlerweile erschreckend vertraut war. Darauf stand:
    HO! HO! HO! CAIN
    »Wer ist CAIN?« fragte ein Polizist, als ich den Schnürsenkel aufknüpfte und die Mülltüte vom Kopf des toten Mannes zog.
    »Oh, Scheiße«, sagte der Detective und wich unwillkürlich einen Schritt zurück.
    »Herr im Himmel!« rief Marino.
    Sheriff Santa war zwischen die Augen geschossen worden, eine Neunmillimeter-Patronenhülse steckte in seinem linken Ohr. Der Abdruck des Schlagbolzens deutete auf eine Glock. Niemand wußte so recht, was jetzt zu tun war. Nie zuvor war dergleichen passiert. Menschen begingen keine Morde und lieferten die Opfer anschließend im Leichenschauhaus ab.
    »Der Wachmann, der Nachtschicht hatte, ist oben«, sagte ich und versuchte, Atem zu schöpfen.
    »War er da, als die Leiche eingeliefert wurde?« Marino zündete sich eine Zigarette an, sein Blick schweifte durch den Raum.
    »Offenbar.«
    »Ich werd raufgehen und mit ihm reden«, sagte Marino, der hier das Sagen hatte, weil wir uns in seinem Bezirk befanden. Er sah seine Beamten an. »Ihr schaut euch hier unten und in der Einfahrt um. Seht genau nach. Gebt eine Fahndungsmeldung raus, ohne daß die Medien es mitkriegen. Gault ist hier gewesen. Vielleicht hält er sich noch in der Gegend auf.« Er blickte auf seine Uhr, dann zu mir. »Wie heißt der Mann oben?«
    »Evans.«
    »Kennst du ihn?«
    »Flüchtig.«
    »Komm mit«, sagte er.
    »Wird jemand den Raum hier sichern?« Ich sah den Detective und die beiden Polizisten an.
    »Ich mach das«, sagte einer von ihnen. »Aber Sie sollten vielleicht Ihre Waffe wieder an sich nehmen.«
    Ich steckte meinen Revolver zurück in meine Tasche, die ich mitnahm. Marino drückte seine Zigarette in einem Aschenbecher aus, und wir stiegen in den Aufzug im Flur. Kaum waren die Türen geschlossen, lief sein Gesicht rot an.
    »Ich kann's nicht glauben.« Er sah mich an, in seinen Augen funkelte Wut. »Das gibt's doch nicht, so etwas kann's doch gar nicht geben!«
    Die Türen öffneten sich, und er schritt wütend den Gang des Stockwerks entlang, wo ich soviel Zeit in meinem Leben verbrachte.
    »Er müßte im Besprechungszimmer sein«, sagte ich.
    Wir kamen an meinem Büro vorbei, und ich warf nur einen kurzen Blick hinein. Ich hatte jetzt keine Zeit, mich darum zu kümmern, ob Gault hier gewesen war. Er hätte nur in den Aufzug steigen oder die Treppe hinaufgehen müssen, um in mein Büro zu gelangen. Wem wäre das um drei Uhr morgens aufgefallen?
    Im Besprechungszimmer saß Evans steif auf einem Stuhl, ungefähr in der Mitte zwischen Kopf und Fußende des Tisches. Von den Fotografien an den Wänden starrten mich frühere Chefs des Leichenschauhauses an. Ich setzte mich dem Wachmann gegenüber, der zugelassen hatte, daß an meinem Arbeitsplatz nun die Polizei ermittelte. Evans war ein älterer Schwarzer, der seinen Job dringend brauchte. Er trug eine khakifarbene Uniform mit braunen Klappen an den Taschen und eine Waffe, wobei ich mir nicht sicher war, ob er damit überhaupt umgehen konnte.
    »Wissen Sie, was passiert ist?« fragte Marino ihn und zog einen Stuhl unter dem Tisch hervor.
    »Nein, Sir. Das weiß ich nicht.« Seine Augen waren weit aufgerissen.
    »Jemand, der nicht dazu berechtigt war, hat eine Lieferung gemacht.« Marino holte seine Zigaretten heraus. »Während Sie Dienst hatten.«
    Evans runzelte die Stirn. Sein Unverständnis wirkte nicht geheuchelt. »Sie meinen, eine Leiche?«
    »Hören Sie«, schaltete ich mich ein. »Ich weiß, wie normalerweise vorgegangen wird. Wir alle wissen das. Sie erinnern sich an den Selbstmordfall. Wir haben am Telefon darüber gesprochen -«
    Evans unterbrach mich. »Wie ich schon

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