Die Tote ohne Namen
bricht hier die Hölle los. Ich will, daß mehr Polizeiwagen draußen stehen und in größerem Umkreis abgesperrt wird. Bis zum Beginn der Einfahrt. Ich will nicht, daß sich jemand in der Einfahrt herumtreibt, zu Fuß oder mit einem Wagen. Auch der Garten hinter dem Haus muß abgesperrt werden. Das ganze verdammte Grundstück muß als Tatort behandelt werden.«
»Ja, Sir, Captain.« Er griff nach seinem Funksprechgerät.
Die Polizei war seit Stunden hier. Sie hatten nicht lange gebraucht, um festzustellen, daß Lamont Brown in seinem Bett erschossen worden war, oben in seinem großen Schlafzimmer. Ich folgte Marino eine schmale Treppe hoch, die mit einem chinesischen Teppich belegt war, und den Gang entlang. Zwei Detectives hielten sich in dem mit dunklem, knorrigem Kiefernholz getäfelten Schlafzimmer auf. Die Vorhänge an den Fenstern und das Bett erinnerten an ein Bordell. Der Sheriff hatte Braun und Gold gemocht, Quasten und Samt und Spiegel an der Zimmerdecke.
Marino sah sich schweigend um. Er hatte sein Urteil über diesen Mann vor langer Zeit gefällt. Ich trat näher an das große Bett.
»Wurde hier irgendwas verändert?« fragte ich einen Detective, während Marino und ich Handschuhe anzogen.
»Nicht wirklich. Wir haben alles fotografiert und unter die Laken geschaut. Aber es sieht noch ziemlich genauso aus, wie wir es vorgefunden haben.«
»Waren die Türen verschlossen, als Sie hier ankamen?« fragte Marino.
»Ja. Wir mußten eine Glasscheibe in der Hintertür zerschlagen.«
»Es gibt also keine Anzeichen dafür, daß sich jemand gewaltsam Zutritt verschafft hat?«
»Nein. Unten im Wohnzimmer haben wir Spuren von Kokain auf einem Spiegel gefunden. Aber das kann schon eine ganze Weile dort sein.«
»Was haben Sie sonst noch gefunden?«
»Ein weißes Taschentuch aus Seide mit Blutflecken«, sagte der Detective, der Kaugummi kaute. »Es lag dort auf dem Boden, ungefähr einen Meter vom Bett entfernt. Und es sieht so aus, als ob der Schnürsenkel, mit dem die Mülltüte um Browns Hals gebunden war, von einem Joggingschuh dort im Schrank stammt.« Er hielt inne. »Ich habe von Jakes gehört. «
»Eine wirklich schlimme Geschichte.« Marino schien zerstreut.
»Er hat nicht mehr gelebt, als... «
»Nein. Sein Brustkorb war zerquetscht.«
Der Inspektor hörte auf zu kauen.
»Haben Sie eine Waffe gefunden?« fragte ich und betrachtete das Bett.
»Nein. Es handelt sich definitiv nicht um einen Selbstmord.«
»Ja«, sagte der andere Detective. »Ziemlich schwierig, sich zuerst umzubringen und dann ins Leichenschauhaus zu fahren.«
Das Kopfkissen war mit rötlichbraunem Blut getränkt, das geronnen war und sich an den Rändern vom Serum getrennt hatte. Blut war seitlich an der Matratze heruntergetropft, aber auf dem Boden waren keine Spuren zu entdecken. Ich dachte an das Einschußloch in Browns Stirn. Es hatte einen Durchmesser von sechs Millimetern und wies an den Rändern Verbrennungen, Kratzer und Abschürfungen auf. Ich hatte in der Wunde Ruß gefunden und verbranntes und unverbranntes Pulver in dem darunterliegenden Gewebe, im Knochen und in der Dura. Die Wunde ließ darauf schließen, daß ihm die Mündung direkt auf die Stirn gesetzt worden war, und die Leiche wies keinerlei sonstige Verletzungen auf, die auf einen Kampf oder ein Abwehrverhalten hingedeutet hätten.
»Ich glaube, daß er flach auf dem Rücken im Bett lag, als er erschossen wurde«, sagte ich zu Marino. »Vielleicht hat er sogar geschlafen.«
Er trat näher ans Bett. »Es wäre auch nicht gerade einfach, jemandem, der wach ist, die Pistole auf die Stirn zu setzen, ohne daß er irgendwie reagiert.«
»Es gibt keinen Hinweis, daß er überhaupt reagiert hat. Das Einschußloch ist genau in der Mitte. Die Pistole wurde direkt auf die Haut aufgesetzt, und es sieht nicht so aus, als hätte er sich auch nur bewegt.«
»Vielleicht war er bewußtlos«, sagte Marino.
»Er hat 1,6 Promille Alkohol im Blut. Vielleicht war er bewußtlos, aber nicht notwendigerweise. Wir müssen das Zimmer mit dem Luma-Lite untersuchen. Vielleicht haben wir irgendwo Blut übersehen«, sagte ich.
»Vermutlich wurde er vom Bett direkt in den Leichensack gehoben.« Ich wies Marino auf die Blutstropfen auf der Seite der Matratze hin. »Wenn man ihn weiter getragen hätte, müßten im Haus mehr Blutspuren sein.« »Richtig.«
Wir sahen uns weiter im Schlafzimmer um. Marino öffnete Schubladen, die bereits durchsucht worden waren. Sheriff Brown hatte
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