Die Tote ohne Namen
Marino.
»Dann liegt es nahe, daß er sich erst nach seiner Rückkehr von New York nach Virginia mit dieser Carrie Grethen zusammengetan hat.« Tucker versuchte, die Bruchstücke zu einem Ganzen zu fügen.
»Wir wissen es nicht«, sagte Wesley. »Wir werden nie so präzise wie Wissenschaftler arbeiten können, Paul. Vor allem wenn wir über Gewaltverbrecher reden, die ihr Gehirn mit Drogen zerstören. Je mehr sie dekompensieren, um so bizarrer verhalten sie sich.«
Tucker beugte sich vor und sah ihn unverwandt an. »Bitte, sagen Sie mir, was zum Teufel Sie aus dieser Geschichte machen. «
»Sie standen vorher schon in Verbindung. Vermutlich haben sie sich in einem Spy-Shop im Norden Virginias kennengelernt«, sagte Wesley. »Auf diese Weise wurde CAIN angezapft - und wird es noch. Allerdings sieht es jetzt so aus, als hätte sich ihre Beziehung auf eine andere Ebene verlagert.«
»Ja«, sagte Marino. »Bonnie hat Clyde gefunden.«
15
Auf nahezu leeren Straßen fuhren wir zu mir nach Hause. Es war später Abend, und es war vollkommen still, Schnee bedeckte die Erde wie Baumwolle und saugte alle Geräusche auf. Aus dem Weiß erhoben sich schwarze nackte Bäume, der Mond versteckte sich hinter Wolkenfetzen. Ich wollte noch Spazierengehen, aber Wesley ließ mich nicht.
»Es ist spät, und du hast einen Alptraumtag hinter dir«, sagte er, während wir in seinem BMW saßen, der hinter Marinos Wagen vor meinem Haus parkte. »Du mußt jetzt hier nicht mehr herumspazieren.«
»Du könntest mitkommen.« Ich fühlte mich verletzlich und erschöpft und wollte nicht, daß er mich allein ließ.
»Keiner von uns muß jetzt hier herumspazieren«, sagte er, als Marino, Janet und Lucy im Haus verschwanden. »Du solltest hineingehen und schlafen.«
»Was machst du?« »Ich habe ein Zimmer.«
»Wo?« fragte ich, als hätte ich das Recht, es zu erfahren.
»Linden Row. Im Zentrum. Geh ins Bett, Kay, bitte.« Er starrte auf die Windschutzscheibe. »Ich wünschte, ich könnte mehr für dich tun, aber ich kann nicht.«
»Ich weiß, und ich bitte dich auch nicht darum. Natürlich kannst du nicht mehr tun, als ich tun könnte, wenn du Trost brauchtest. In solchen Situationen hasse ich es, dich zu lieben. Ich hasse es so sehr. Ich hasse es so sehr, wenn ich dich brauche. Wie jetzt.« Ich kämpfte dagegen an. »Ach, verdammt.«
Er nahm mich in die Arme und trocknete meine Tränen. Er strich mir übers Haar und hielt meine Hand, als ob er mit ganzem Herzen an ihr hinge. «Wenn du wirklich möchtest, nehme ich dich mit zu mir.«
Er wußte, daß ich das nicht wollte, weil es nicht möglich war. »Nein«, sagte ich und atmete tief durch. »Nein, Benton.«
Ich stieg aus seinem Auto und hob eine Handvoll Schnee auf. Während ich zur Haustür ging, rieb ich mir damit das Gesicht ab. Niemand sollte merken, daß ich im Dunkeln bei Benton Wesley geweint hatte.
Er fuhr erst los, nachdem ich mich im Haus mit Marino, Lucy und Janet verbarrikadiert hatte. Tucker, der unsere Sicherheit nicht uniformierten Männern in einem Polizeiauto anvertrauen wollte, hatte eine Überwachung rund um die Uhr angeordnet, und Marino war dafür verantwortlich. Er scharte uns um sich wie eine Guerillatruppe.
»Okay«, sagte er, als wir alle in meine Küche gingen. »Ich weiß, daß Lucy schießen kann. Und Sie, Janet, sollten es auch können, wenn Sie jemals die Akademie abschließen wollen.«
»Ich konnte schon schießen, bevor ich in die Akademie kam«, sagte sie auf ihre ruhige, unerschütterliche Art. »Doc?«
Ich machte die Kühlschranktür auf. »Ich kann eine Pasta mit Olivenöl, Parmesan und Zwiebeln machen. Es gibt Käse, wenn jemand ein Sandwich will. Oder wenn ihr mir die Zeit laßt, die Sachen aufzutauen, kann ich auch Piccagge col pesto di ricotta oder Tortellini verdi machen. Wenn ich beides auftaue, wird es für vier reichen.«
Keiner sagte etwas.
Ich wollte so gern etwas ganz Normales tun. »Tut mir leid«, sagte ich verzweifelt. »Ich war in den letzten Tagen nicht einkaufen.«
»Ich muß an deinen Safe, Doc«, sagte Marino. »Ich habe Bagels.«
»He, hat eine von euch Hunger?« fragte Marino.
Hatten sie nicht. Ich schloß den Kühlschrank. Der Safe mit den Waffen war in der Garage. »Komm mit«, sagte ich zu ihm.
Er folgte mir, und ich öffnete ihn.
»Würdest du mir vielleicht sagen, was du vorhast?« fragte ich ihn.
»Ich bewaffne uns«, sagte er, als er eine Handfeuerwaffe nach der anderen herausnahm und meine Munitionsvorräte
Weitere Kostenlose Bücher