Die Tote ohne Namen
überprüfte. »Verdammt, du mußt Aktien von Green Top haben.«
Green Top war eine Waffenhandlung, die nicht an Kriminelle verkauften, sondern nur an normale Bürger, die Waffen aus sportlichen Gründen oder zum Schutz ihres Hauses brauchten. Daran erinnerte ich Marino, obwohl ich nicht leugnen konnte, daß ich vielleicht zu viele Waffen und zuviel Munition besaß.
»Ich wußte gar nicht, was du alles hast«, fuhr Marino fort, der halb in meinem großen, schweren Safe verschwunden war. »Wann hast du dir das ganze Zeug zugelegt? Ich jedenfalls war nicht dabei.«
»Ab und zu gehe ich allein einkaufen«, sagte ich in scharfem Ton. »Du kannst es glauben oder nicht, aber ich bin durchaus in der Lage, Kleider, Lebensmittel und Waffen allein einzukaufen. Und ich bin furchtbar müde, Marino. Laß uns zu einem Ende kommen.«
»Wo sind deine Gewehre?« »Was für welche willst du?« »Was für welche hast du?«
»Remingtons. Eine Marine Magnum. Eine 870 Express Security.«
»Das wird reichen.«
»Möchtest du, daß ich mich nach Plastiksprengstoff umschaue? Vielleicht finde ich auch noch ein paar Handgranaten.«
Er zog eine Glock-Neunmillimeter heraus. »Du hast also auch Kampf- Tupperware.«
»Ich hab sie für Testschüsse gebraucht. Wie die meisten dieser Waffen. Ich muß auf diversen Kongressen diverse Vorträge halten. Du treibst mich in den Wahnsinn. Wirst du dir als nächstes meinen Kleiderschrank vornehmen?«
Marino steckte sich die Glock hinten in den Hosenbund. »Mal sehen. Ich werd noch deine Smith & Wesson und deinen Colt beschlagnahmen. Janet mag Colts.«
Ich schlug den Safe zu und drehte wütend an dem Sicherheitsschloß. Dann kehrten Marino und ich ins Haus zurück, und ich ging nach oben, weil ich nicht mit ansehen wollte, wie er Waffen und Munition verteilte. Der Gedanke, daß unten Lucy mit einer halbautomatischen Waffe herumsaß, war mir unerträglich, und ich fragte mich, ob irgend etwas Gault aus dem Konzept bringen oder ihm Angst einjagen würde. Ich kam zu dem Schluß, daß er ein lebender Toter war und keine bekannte Waffe ihn aufhalten würde.
Ich schaltete das Licht in meinem Schlafzimmer aus und stellte mich ans Fenster. Mein Atem kondensierte am Glas, während ich in die schneehelle Nacht hinausschaute. Ich erinnerte mich an meine erste Zeit in Richmond, als ich nachts aufgewacht war und die Welt ebenso still und weiß gewesen war wie jetzt. Mehrere Male hatte der Schnee die Stadt lahmgelegt, und ich konnte nicht zur Arbeit. Ich erinnerte mich daran, wie ich durch die Straßen marschierte und Schneebälle auf die Bäume warf. Ich erinnerte mich daran, wie ich die Kinder beobachtete, die Schlitten durch die Straßen zogen.
Ich wischte die Feuchtigkeit von der Scheibe und war zu traurig, um irgend jemandem meine Gefühle mitteilen zu können. In allen Fenstern in der Straße brannten Weihnachtskerzen, nur nicht in meinen. Die Straße war hell erleuchtet und leer. Nicht ein einziges Auto fuhr vorbei. Ich wußte, daß Marino mit seinem weiblichen Sonderkommando die halbe Nacht wach bleiben würde. Eine herbe Enttäuschung erwartete sie. Gault würde nicht kommen. Allmählich entwickelte ich einen Instinkt für ihn. Was Anna über ihn gesagt hatte, war wahrscheinlich richtig.
Ich las, bis ich einschlief, und wachte um fünf wieder auf. Leise ging ich hinunter und hoffte, nicht in meinem eigenen Haus von einer Schrotladung ins Jenseits befördert zu werden. Aber die Tür zum Gästezimmer war geschlossen, und Marino schnarchte auf der Couch. Ich schlich in die Garage und fuhr rückwärts meinen Mercedes hinaus. Er glitt mühelos über den weichen trockenen Schnee. Ich fühlte mich wie ein Vogel und flog davon.
Ich fuhr ziemlich schnell die Cary Street entlang, und als der Wagen ins Schlendern kam, hatte ich meinen Spaß daran. Niemand außer mir war unterwegs. Ich schaltete herunter und fuhr durch die Schneeverwehungen auf dem Parkplatz von Safeway's. Der Supermarkt war immer geöffnet, und ich kaufte Orangensaft, Frischkäse, Schinken und Eier. Ich trug einen Hut, und niemand kümmerte sich um mich.
Als ich zum Auto zurückging, war ich so glücklich wie seit Wochen nicht mehr. Auf der Rückfahrt sang ich die Songs im Radio mit und ließ den Wagen schleudern, wenn ich es mir ohne Risiko erlauben konnte. Ich fuhr in die Garage, und Marino stand vor mir, die flache schwarze Benelli-Flinte in der Hand.
»Was zum Teufel glaubst du eigentlich, tust du da?« rief er, als ich das Garagentor
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