Die Tote von Buckingham Palace
Unglück zu offen, ging es Elsa durch den Kopf, und das lässt dich nicht anziehender aussehen. Dann sagte sie: »Ich weiß nicht. Aber Männer tun so manches aus Gründen, die ich nicht verstehe.«
»Ja. Beispielsweise holen sie sich Geschöpfe wie diese zu ihrer Unterhaltung«, fügte Olga verbittert hinzu.
In diesem Augenblick rauschte wie ein weiblicher Luftgeist Liliane Quase in einem Kleid von blassem Goldgrün herein. Mit ihrer samtweichen Haut, dem kastanienbraunen Haar und goldbraunen Augen war sie eine überwältigende Schönheit. Zwar war sie ein wenig zu klein, als dass sie mit wahrer Eleganz hätte auftreten können, doch gelang es ihr gewöhnlich, ihre geringe Körpergröße mit dem Schnitt ihrer Kleider zu überspielen. Kein Mann hätte gemerkt, dass ihre Beine länger wirkten, als sie waren, weil die zweite Stufe ihres Rocks tief angesetzt war. Nur eine Frau würde einen solchen Kunstgriff durchschauen.
Elsa merkte, dass sie unwillkürlich lächelte. Sie wusste, dass Liliane außerdem hohe Absätze trug und gelernt hatte, auf ihnen sehr anmutig zu gehen. Vermutlich hatte sie das lange geübt.
»Was wollen Sie – unsere Männer müssen sich den Wünschen des Kronprinzen fügen«, sagte Liliane ungehalten zu Olga. »Das Ganze dürfte großenteils harmlos sein. Bei solchen Dingen ist immer viel Prahlsucht im Spiel. Natürlich ist das ziemlich kindisch, aber noch kindischer wäre es, wenn wir uns davon kränken ließen. Es lohnt sich nicht, die Sache so wichtig zu nehmen, wie Sie das tun.« Sie sah sich suchend um, als hätte sie gern etwas Stärkendes zu sich genommen, sah aber nichts. »Eine Frau, die fortwährend die beleidigte Schönheit spielt, wird einem Mann lästig und langweilt ihn rasch. Befolgen Sie meinen Rat und tun Sie so, als ob Sie sich nicht das Geringste daraus machten. Noch besser wäre es, wenn Sie es einfach nicht zur Kenntnis nähmen.«
Olga wollte zu einer beißenden Replik ansetzen, doch ihr fiel nichts ein. »Elsa meint, die Frau könnte ermordet worden sein«, sagte sie stattdessen.
Liliane wandte sich überrascht Elsa zu. »Wer setzt nur so blödsinnige Gerüchte in die Welt?« Zwar klang ihre Stimme gelassen, doch ihr Blick verriet ihre innere Unruhe. »Wie soll das passiert sein?«
»Das weiß ich nicht«, räumte Elsa ein, »jedenfalls hat man sie tot in der Wäschekammer gefunden.«
»In der Wäschekammer!«, rief Liliane aus. »Dann geht es sicher um irgendein hysterisches Dienstmädchen. Sicher war sie schwanger und hat versucht, sich das Kind selbst wegzumachen. Ich nehme an, dass man die Sache bald aufklären wird und wir uns wieder wichtigen Dingen zuwenden können. Dem Kronprinzen muss noch so manches Detail erläutert werden, bis er die Angelegenheit, um die es geht, richtig einschätzen kann.«
»Bestimmt kennt er die geografischen Gegebenheiten Afrikas ebenso gut wie wir«, gab Olga zurück. »Wenn man es recht bedenkt, ist die Sache doch recht einfach. Kapstadt liegt an der Südküste, am Übergang vom Südatlantik in den Indischen Ozean, und gehört uns ohnehin. Die Bahnlinie soll durch Betschuanaland sowie Süd- und Nordrhodesien führen. Auf dieser Trasse befindet sich ausschließlich der Landstreifen zwischen Deutsch-Ostafrika und dem belgischen Kongo nicht in unserer Hand. Dann geht es in lauter Länder unter britischem Einfluss: Uganda, den angloägyptischen Sudan und schließlich Ägypten selbst. Damit wären wir schon in Kairo. Auf diplomatischer Ebene dürfte es da nicht die geringsten Schwierigkeiten geben.« Sie machte eine wegwerfende Handbewegung. »Problematisch ist einzig und allein die technische Seite. Die Polizei soll feststellen, was es mit der Frau in der Wäschekammer auf sich hat. Es ist ganz und gar lächerlich, wenn ein solcher Vorfall Besprechungen über eine Bahnlinie aufhält, der es bestimmt ist, das Gesicht des britischen Weltreichs zu verändern. Sicher sterben jeden Tag irgendwo Prostituierte.«
»Hier geht es aber nicht um ›irgendwo‹«, gab Elsa zu bedenken, »sondern um eine Wäschekammer im Buckingham-Palast, keine zwanzig Schritt von meiner Schlafzimmertür entfernt – und nebenbei bemerkt auch von Ihrer.«
»Meine Liebe«, sagte Liliane betont nachsichtig. »Vergessen Sie den Vorfall um Gottes willen. Er ist für Sie so unerheblich, als wenn er sich in China abgespielt hätte! Geben Sie sich Mühe, Seine Königliche Hoheit entgegenkommend zu behandeln. Wahrscheinlich
ist es ungehörig, solche Dinge auch nur zu
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