Die Tote von Buckingham Palace
untergraben.
»Zum Henker!«, fuhr er sie an. »Das hätte ich selbstverständlich getan, wenn mir das klar gewesen wäre. Schließlich habe ich Minnie geliebt! Sie war … der leidenschaftlichste Mensch, dem ich je begegnet bin, und so lebendig. Mir ist, als habe er mit ihr das Leben selbst getötet!«
»Meinst du nicht, dass ihm das bewusst war?«, fragte sie. Die Worte schmerzten sie, noch während sie sie sagte.
»Er hat sie nicht geliebt«, gab er ruhig zurück. »Und verdient hatte er sie auch nicht.«
»Du sagst das, als seien ›lieben‹ und ›den anderen verdienen‹ ein und dasselbe«, hielt sie ihm vor. Wieder vermieden sie es, einander anzusehen. »Wenn das so wäre, hätte dich Olga weiß Gott verdient. Ist dir der Gedanke noch nicht gekommen?«
»Man kann weder auf Kommando lieben noch sich aussuchen, wen man liebt«, stieß er zwischen den Zähnen hervor. »Wenn du je einen Menschen wirklich geliebt hättest, statt einfach einen zu heiraten, der dir eine sichere und am ehesten erträgliche Verbindung bot, wüsstest du das.«
Sie hatte keinen Anlass, ihm Unbarmherzigkeit vorzuwerfen, denn sie hatte sich ebenso unbarmherzig verhalten wie er. »Man hat mir keine Ehe ermöglicht, in der ich lieben konnte«, gab sie kühl zur Antwort. »Genau wie dir. Vielleicht hat sich das bei Minnie ebenso verhalten. Falls du annehmen solltest, dass wir die freie Entscheidung haben, etwas zu tun oder ungeschehen zu machen, oder wenn du glaubst, dass sich die Umstände deinen Wünschen fügen, bist du unglaublich naiv. Olga wollte dich, und daran scheint sich bisher nichts geändert zu haben. Aber meinst du, dass das auf ewige Zeiten so bleibt?«
»Ich habe Minnie geliebt«, wiederholte er bockig. »Das kannst du, wie es aussieht, nicht verstehen. Du hast sie nie ausstehen können, und das war ihr auch bewusst. Du warst eifersüchtig auf die Zuneigung, die ihr Cahoon entgegenbrachte. Dich hat er nie bewundert, wohl aber sie.«
Zwar entsprachen beide Aussagen der Wahrheit, doch sonderbarerweise traf der Vorwurf, Minnie nicht gemocht zu haben, sie besonders tief. Zumindest hätte sie sich darum bemühen müssen. Sie hatte sich passiv verhalten, war in ihrer eigenen Einsamkeit gefangen, so sehr auf sich selbst bezogen gewesen, dass ihr der Gedanke gar nicht gekommen war, zu überlegen, was Minnie empfinden mochte. Während sie jetzt ehrlich darüber nachdachte, erschien ihr das abstoßend. Kein Wunder, dass Cahoon sie nicht geliebt hatte. Sie liebte sich selbst auch nicht besonders.
»Ich weiß«, sagte sie. »Aber hast du wirklich Minnie geliebt oder nicht eher die Empfindungen, die sie in dir wachgerufen
hat: Leidenschaftlichkeit und das Gefühl, lebendig zu sein? Unter ihrem Einfluss hast du dich aufgeführt wie ein Dummkopf. In deiner Verliebtheit war es dir offenbar gleichgültig, wer davon erfuhr und wer nicht – und so wusste es alle Welt. Du hast sowohl deine Frau als auch deinen Bruder hintergangen. Wolltest du wirklich so sein? Fandest du das an dir bewundernswert?« Endlich sah sie ihn an.
Sein Gesicht war kalkweiß. »Du hast sie wirklich gehasst, nicht wahr?«, sagte er mit leiser Stimme. »Warum? Wegen Cahoon oder wegen Julius?«
Sie lächelte. »Wenigstens bist du nicht so eingebildet zu glauben, es könnte deinetwegen gewesen sein. Ist dir je der Gedanke gekommen, dass die meisten verheirateten Frauen Mitgefühl empfinden, wenn sie erfahren, auf welche Weise andere Ehefrauen betrogen werden? Vielleicht habe ich Minnie auch für das verabscheut, was sie Olga und Julius angetan hat.«
In seine Augen trat ein sonderbarer Glanz. »Und das gleich so sehr, dass du sie dafür hättest umbringen können?«
»Ich dachte, du hättest diese Tat Julius zugetraut – deinem eigenen Bruder?«, sagte sie in anklagendem Ton. Vor Angst und Wut war ihre Stimme scharf wie ein Messer.
»Dieser Gedanke stammt von anderen. Im Übrigen war sie der einzige Mensch, den Cahoon wirklich geliebt hat. Sollte Julius nicht der Täter gewesen sein, kommt nur noch Hamilton infrage. Aber warum zum Teufel hätte er das tun sollen? Über eins sei dir im Klaren, Elsa: Wer auch immer der Täter ist, er hat mindestens drei Menschen auf dem Gewissen. Außer Minnie und der armen Hure, die hier einfach ihre Arbeit getan hat, ist da noch die andere in Afrika, die jeder von uns zu vergessen versucht. Da Cahoon damals nicht einmal in der Nähe des Tatorts war, kann er es als Einziger nicht gewesen sein.«
»Dann war es wohl
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