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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Hamilton«, sagte sie schlicht. »Aber wer sagt mir, dass du es nicht doch selbst getan hast? Vielleicht warst du wild entschlossen, den Teufelskreis der Macht zu durchbrechen, die Minnie über dich hatte. Vielleicht hattest du die endlose
Abfolge aus Begierde und Treuebruch satt. Es ging einfach nicht anders. Jeder konnte sehen, dass du wie ein abgerichteter Hund reagiert hast, wenn sie dich neckte. Vielleicht hast du dich selbst deswegen verachtet und keine andere Möglichkeit gesehen, dich von ihr zu befreien.«
    »Du bist genau das, was Cahoon sagt: ein erbärmliches Geschöpf ohne Spur von Leidenschaft«, schleuderte er ihr mit bebender Stimme entgegen.
    »Nur weil ich nicht in einem feuerroten Kleid paradiere und die Leute bis aufs Blut reize?«, gab sie zurück. Der Vorwurf hatte sie getroffen. Ihr war bewusst, dass Cahoon sie nicht mehr begehrte. Sofern er überhaupt ein Auge auf eine Frau geworfen hatte, war das Amelie Parr. Das hatte sie an der Art erkannt, wie er sie angesehen hatte. Es war schmerzlich zu sehen, dass er zu anderen Männern darüber sprach, wie er zu ihr, seiner Frau, stand. Damit tat er sie als ganz und gar wertlos ab.
    »Weil du voll Eiseskälte in einem blauen Kleid paradierst und Angst vor deinem eigenen Schatten hast«, gab er zurück. »Dabei bist du, Gott verzeih mir, noch am Leben!«
    »Du etwa nicht?«, gab sie zurück. »Vielleicht wäre Minnie es auch noch, wenn du deine Begierde gezügelt hättest, statt ihr nachzugeben. Hast du dir je überlegt, dass du Julius zu der Tat getrieben haben könntest – vorausgesetzt, er hat sie begangen?« Beinahe hätte sie gesagt, dass Olga möglicherweise die Täterin war. Es war ihr im letzten Augenblick gelungen, das herunterzuschlucken.
    Rote Flecken traten auf seine Wangen. »Willst du damit sagen, wenn die Frau ihrem Mann einen anderen vorzieht, hat er das Recht, sie zu töten?«
    »Besser nicht«, gab sie spitz zurück. »Sonst könnte sich Olga umgekehrt verpflichtet fühlen, dich umzubringen. Ich würde ihr übrigens keine Vorwürfe deswegen machen.« Das war eine Lüge. Aber in ihr tobte eine Wut auf Simnel, der ihrer Ansicht nach Verrat an Julius begangen hatte, indem er ihn der Tat beschuldigte, und zugleich fürchtete sie, er könne damit recht haben.
Auch wenn diese Angst lediglich im Hintergrund lauerte, war sie unbestreitbar da. Sie verabscheute sich selbst dafür.
    Liebte sie Julius? Bedeutete Liebe, dass man unerschütterlich zu einem Menschen stand, ganz gleich, was gegen ihn sprechen mochte? Musste man seine eigenen Werte verleugnen und so tun, als habe man die Situation nicht durchschaut? War es ein Zeichen von Liebe, wenn man sich weigerte, das Hässliche und an der Oberfläche Sichtbare zu glauben, und in einem Menschen nur das Reine zu sehen? Durfte man einen Menschen auch dann noch lieben, wenn man seine Schwächen und Ängste erkannt hatte? Wenn man Zeuge geworden war, wie seine Träume zuschanden wurden? Würde sie auch dann noch etwas für Julius empfinden, wenn er in keiner Weise mehr dem Bild entsprach, das sie sich von ihm gemacht hatte?
    Das Ebenmaß seines Gesichts bewegte sie ebenso wie sein Lächeln, seine Hände und der Klang seiner Stimme. War das Liebe oder Verliebtheit? Klammerte sie sich in Wahrheit an ihre eigenen Träume? Wie leicht wäre das – und wie weit von der Wirklichkeit entfernt!
    Die Tür öffnete sich, und Liliane trat ein, auf dem Fuß von Olga gefolgt. Elsa gab nichtssagende Worte von sich. Auch Simnel murmelte etwas Bedeutungsloses und wandte sich dann ab. Keiner der Anwesenden brachte etwas anderes als Plattheiten heraus, niemand war imstande, etwas aufrichtig Gemeintes zu sagen.
    Während Elsa die beiden anderen Frauen ansah, überlegte sie, wie viele Kompromisse sie eingegangen sein mochten. Waren sie ehrlicher als sie selbst, weil sie einen Mann trotz seiner Schwächen oder seines Versagens liebten?
    Musste nicht Liebe immer ein wenig blind sein? Wie könnte sie überdauern, wenn es anders wäre? Gewann sie nicht erst dadurch an Leben, dass man an die Existenz von etwas Gutem und Schönem glaubte?
    Dunkeld kam herein, nach ihm Hamilton Quase. Beide hatten tiefe Ringe unter den Augen und sahen mitgenommen aus,
vor allem Dunkeld, der sich wohl beim Rasieren geschnitten hatte. Er wirkte sonderbar leblos, und man hätte glauben können, er sei geschrumpft. Hamilton war streitlustig; er hatte offenkundig wieder einmal mehr getrunken, als ihm guttat, und schien fest entschlossen, damit

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