Die Tote von Buckingham Palace
außerordentlich liebenswürdige Umschreibung für einen Befehl.
Wie beim vorigen Mal saß die Prinzessin aufrecht und hocherhobenen Hauptes in ihrem Salon. Sie trug ein hochgeschlossenes Nachmittagskleid mit einem Spitzenkragen. Zwar war sie schön, doch mehr als das Ebenmaß ihrer Züge und die Reinheit ihres Teints beeindruckte ihn die Würde, die sie ausstrahlte. So wie sie stellte er sich Angehörige der königlichen Familie vor. Unwillkürlich nahm er Haltung an.
»Guten Tag, Mr Pitt«, sagte sie mit einem angedeuteten Lächeln. »Wie ich höre, ist auch die arme Mrs Sorokine einer Tragödie zum Opfer gefallen. Es tut mir in der Seele weh, dass diese junge Frau ein solches Ende gefunden hat.« Ohne ein weiteres Wort darüber zu verlieren, sah sie ihn an, als setze sie voraus, dass er ihre Anspielung verstand.
»Gewiss, Ma’am«, gab er zurück. »Auch mich schmerzt es.« Er neigte den Kopf, um seine Zustimmung zu bekräftigen.
»Stimmt es, dass Mr Sorokine der Täter war?«, fragte sie.
Er spreizte die Hände zum Zeichen seiner Unsicherheit. »So sieht es aus.«
Sie begriff. »Aber sicher sind Sie sich Ihrer Sache nicht?«
»Noch nicht, Ma’am.«
»Rechnen Sie damit, Gewissheit zu erlangen?«
»Das möchte ich, auf jeden Fall.«
Sie nickte bedächtig. Offensichtlich hatte sie verstanden. In ihre Augen trat etwas, was Dankbarkeit sein mochte, vermischt mit einem gewissen selbstironischen Humor. »Sehen Sie irgendeine Möglichkeit, wie ich Ihnen dabei behilflich sein könnte? Ich habe erfahren, dass Sie soeben eine Unterredung mit Seiner Königlichen Hoheit hatten.«
»Ja, Ma’am. Es ging um ein Objekt aus Limoges-Porzellan, das zerbrochen ist, und ich wollte von ihm wissen, wo es sich normalerweise befand. Keiner der Dienstboten scheint es gekannt zu haben.«
»Und steht das in Zusammenhang mit dem Tod einer dieser Frauen?«, fragte sie. »Wie hat das Objekt ausgesehen?«
»Das lässt sich aus den Resten schlecht sagen, Ma’am, aber es
dürfte sich um einen Tafelaufsatz gehandelt haben.« Er deutete mit den Händen die ungefähre Größe an. »Mit goldenem Rankenwerk um den Rand, Girlanden aus kleinen Rosen, und in der Mitte ein Bild in leuchtendem Kobaltblau.« Obwohl er betont langsam gesprochen hatte, wusste er nicht, ob sie ihn verstanden hatte, denn ihre Augen zeigten Verwirrung. »Blau wie der Himmel.« Er hob den Blick. »Und um den Rand herum Gold.« Er zeichnete mit einem Finger einen Kreis in die Luft.
»Ich höre und verstehe Sie, Mr Pitt«, sagte sie leise. »Sie sprechen sehr deutlich. Ich weiß nur nicht, was ich denken soll. Genau ein solcher Tafelaufsatz befindet sich im Schlafgemach Ihrer Majestät. Sie hängt sehr daran, wohl weniger um seiner selbst willen, sondern weil es sich um ein Geschenk einer der Prinzessinnen handelt, aus der Zeit, als sie noch sehr jung war.«
Ob Sie ihn missverstanden hatte? Ihrem Gesichtsausdruck aber entnahm er, dass sie sich nicht nur dessen, was sie gesagt hatte, ganz sicher zu sein schien, sondern dass ihr auch die Bedeutung ihrer Worte vollauf bewusst war. Er überlegte, was er sagen konnte, doch fiel ihm nichts ein.
Sie stand auf. »Ich denke, Mr Pitt, es dürfte das Beste sein, wir gehen hin und sehen nach. Sollte der Tafelaufsatz Ihrer Majestät tatsächlich in Stücke gegangen sein, müssen wir bei ihrer Rückkehr unbedingt eine Erklärung und eine Entschuldigung dafür bereit haben. Wollen Sie mich bitte begleiten?«
»Gewiss … Ma’am.« Er gehorchte, ging rasch um sie herum, erreichte vor ihr die Tür und öffnete sie. Er wusste selbst nicht, ob er innerlich darüber jubelte, dass sie ihm gesagt hatte, wohin der Tafelaufsatz gehörte, oder ob ihm das noch größere Angst bereitete. Wenn der Gegenstand der Königin persönlich gehörte, wie konnte er dann zerbrochen sein? Hatte der Prinz ihn an sich gebracht? Doch warum? War er vollständig von Sinnen? Und was würde die Prinzessin von Wales tun, wenn ihr aufging, was das zu bedeuten hatte? War Pitt in seiner Blindheit mitten in die Falle einer Palastintrige getappt? War der Kronprinz geistesgestört, wusste sie das und beabsichtigte sie, sich Pitts auf
irgendeine Weise zu bedienen, um das an die große Glocke zu hängen?
Aber nein. All das waren aberwitzige Spekulationen. Es musste eine durch und durch vernünftige Erklärung geben. Wahrscheinlich handelte es sich einfach um einen diebischen Palastangestellten. Das ergab am ehesten einen Sinn.
In einem Schritt Abstand hinter der
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