Die Tote von Buckingham Palace
und entsetzlich anstößig.
»Du hast doch Minnie nicht getötet, oder?«, fragte sie.
»Nein«, gab er sofort zurück. »Ich weiß aber auch nicht, wer es war. Vermutlich derselbe, der das Freudenmädchen umgebracht hat. Etwas anderes kann ich mir nicht denken. Die arme Minnie.« In seiner Stimme lag ungeheuchelter Schmerz und aufrichtiges Mitleid. »Sie war so sicher, dass sie unmittelbar davor stand, die Wahrheit zu erfahren. Ich habe das erst gemerkt, als sie das
beim Abendessen immer wieder gesagt hat. Jemand muss sie ernst genommen haben.«
Bei diesem Gedanken überlief sie ein kalter Schauer. Ihr wurde übel. Außer den drei Männern kam niemand infrage. Sie kannte jeden von ihnen, konnte sie gut leiden, mit Ausnahme Cahoons, den sie aber immerhin einmal zu lieben geglaubt hatte. Es hatte zärtliche Augenblicke gegeben. Was war der Unterschied zwischen der Annahme, man liebe einen Menschen und wirklicher Liebe zu ihm?
»Weißt du, wo man Sadie umgebracht hat?«, fragte sie.
»Etwa nicht in der Wäschekammer, wo man sie gefunden hat?« Seine Stimme klang erstaunt.
»Es sieht ganz so aus. Cahoon sagt, es war in den Privatgemächern der Königin. Dabei ist auch Blut auf die Laken mit ihrem Monogramm gekommen.«
»Was für Laken mit was für einem Monogramm?« Seine Stimme klang leicht schrill. »Ich habe keine Vorstellung, wovon du redest.«
»Die Bettlaken der Königin.«
»Wo waren sie denn?«
Ihr ging auf, dass sie es nicht wusste. »Das hat er nicht gesagt. Weißt du etwas über einen zerbrochenen Gegenstand aus Limoges-Porzellan?«
»Nein. Ich habe nichts dergleichen gesehen, nur Crown Derby, Wedgwood und das eine oder andere Stück Meißen. Wer hat es denn zerbrochen?« Seine Stimme klang ein wenig fester, doch schien er nach wie vor völlig verwirrt zu sein.
Es machte ihr Angst, zu sehen, wie wenig sie von der ganzen Sache begriffen hatte. Allmählich kam es ihr selbst vor, als rede sie Unsinn.
»Ich weiß es nicht, aber Minnie hat sich danach erkundigt. Es schien ihr sehr wichtig zu sein. Cahoon sagt, das Porzellan hat sich im Schlafgemach der Königin befunden. Auf diese Weise ist man auch dahintergekommen, dass man die Frau dort umgebracht hat.«
»Und woher weiß Cahoon das?«, fragte er rasch. Sie hörte die Sprungfedern knirschen. Obwohl sie nichts sehen konnte, schloss sie aus diesem und verschiedenen anderen leisen Geräuschen, dass er aufgestanden war. Kam er jetzt womöglich in der Dunkelheit auf sie zu? Sie empfand Angst. Oder wollte sie gar, dass er sich ihr näherte? »Ich weiß nicht«, sagte sie. »Vielleicht … vielleicht hat es ihm der Prinz gesagt.«
»Falls der Minnie auf dem Gewissen haben sollte, frage ich mich, ob er auch die andere umgebracht haben könnte«, sagte Julius mit vor Spott triefender Stimme. Er schien zwischen unendlichem Kummer und Gelächter zu schwanken.
»Julius!« Kaum hatte sie das gesagt, als sie begriff, dass der verzweifelte Klang ihrer Stimme sie verraten hatte. Bestimmt würde er alles heraushören, was sie für ihn empfand.
»Er kann es aber unmöglich gewesen sein.« Seine Stimme klang jetzt angespannt. Offenkundig bemühte er sich, Haltung zu bewahren und die Angst zu unterdrücken, die er empfinden musste. »Es kann nur Simnel oder Hamilton gewesen sein.«
»Hätte Cahoon es doch nur getan!« Mit diesem Ausbruch war es ihr ernst. »Aber Minnie hätte er nie im Leben getötet. Er hat sie auf seine Weise geliebt. Wahrscheinlich war sie der einzige Mensch, den er überhaupt je geliebt hat. Davon abgesehen, war er damals auch nicht in Kapstadt, als die Frau dort umgebracht wurde, nicht einmal in der Nähe. Wie es aussieht, sind aber alle drei Frauen auf völlig gleiche Weise getötet worden.«
»Elsa …« Er hielt inne.
»Was?«
»Ich weiß nicht, wer es war, und ich kann nicht beweisen, dass ich es nicht getan habe. Mir ist bekannt, dass Minnie vor einem Jahr mit Simnel eine ehebrecherische Beziehung hatte, und wenn es diesmal nicht dazu gekommen ist, dann nur deshalb, weil die beiden keine Gelegenheit dazu hatten. Es war mir nicht wichtig. Ich hatte längst gemerkt, dass ich sie nicht liebte. Es ist meine Schuld … dass sie nicht glücklich geworden ist. Vielleicht hätte sie sich sonst keinem anderen zugewendet.«
»Eine Frau muss nicht unbedingt mit einem anderen ins Bett gehen, wenn ihr Mann nichts von ihr wissen will«, sagte sie ruhig. »Das ist keine Rechtfertigung, schon gar nicht, wenn auch der andere verheiratet ist. Aber
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