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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sogar, wenn er unverheiratet ist, hintergeht sie ihren Mann. Wie könnte jemand einem solchen Menschen trauen?«
    Die Stille der Nacht, die nicht einmal durch das Knarren von Holz unterbrochen wurde, lastete schwer auf beiden.
    »Sicher«, gab er zur Antwort. »Aber sie hat Simnel nicht geliebt, und er sie auch nicht. Es ging dabei um eine Art selbstsüchtiger Begierde, die einen Menschen nicht über sich hinauswachsen lässt, sondern ihn herabsetzt.«
    »Und was tut jemand, der über sich hinauswächst?« Wollte sie wissen, was er dachte? War es nicht besser, dafür zu sorgen, dass der Traum unangetastet blieb, nicht zerstört wurde? Es würde ohnehin kein Morgen geben, keine Gelegenheit, etwas an der Situation zu ändern. Das hier würde alles sein, was sie hatte, in aller Zukunft.
    »Man möchte sein wie der andere, der Mensch, den man lieben könnte«, gab er kaum hörbar zur Antwort. »Zumindest ehrlich und großzügig und möglichst auch tapfer.«
    Tränen füllten ihre Augen, und ihre Kehle schmerzte nahezu unerträglich.
    »Ich versuche aufrichtig zu sein«, fuhr er fort. »Ich habe Minnie nicht getötet, mich aber insofern schuldig gemacht, als es nicht mein Wunsch war, die Kap-Kairo-Bahn zu bauen. Hätte ich doch den Mut aufgebracht, das Cahoon ins Gesicht zu sagen und mich aus der Sache zurückzuziehen. Wir sollten lieber Eisenbahnen aus dem Landesinneren zu den Häfen bauen, von mir aus in alle Himmelsrichtungen. Auf jeden Fall sollte sich England meines Erachtens auf die Meere konzentrieren. Mehr Macht, als wir jetzt schon haben, braucht kein Volk. Das Herz Afrikas sollten wir nicht antasten, denn es gehört uns nicht. Dass wir möglicherweise imstande wären, es in unseren Besitz zu bringen, hat damit nichts zu tun. Sicher können die anderen die Bahn auch
ohne mich bauen. Ich wünschte, ich hätte die Größe gehabt, mich zurückzuziehen und ihnen die Gründe dafür ins Gesicht zu sagen.« Er zögerte. »Jetzt geht das nicht mehr, aber glaub mir bitte, Elsa, dass ich es getan hätte. Beweisen kann ich es dir nicht.«
    »Ja«, sagte sie sofort. »Ich … ich glaube dir.« Fast hätte sie gesagt: »Ich liebe dich«, schluckte es aber herunter. In seiner Situation brauchte er eher Vertrauen als einen Aufstand der Gefühle. »Gib nicht auf. Ich versuche den Polizisten zu finden. Ich muss ihm etwas sagen.«
    »Jetzt? Wie spät ist es?«
    »Ich weiß nicht.«
    »Du kannst ihn doch unmöglich mitten in der Nacht wecken!«
    »Warum nicht?«
    »Elsa!«
    »Ja?«
    »Ich danke dir.«
    »Weil ich dir glaube? Dafür brauchst du mir nicht zu danken. Das hätte ich ohnehin getan.«
    Sie nahm den Schlüssel aus der Tasche und schloss auf. Sie zögerte, hätte fast etwas gesagt, überlegte es sich dann anders und ging hinaus, wobei sie hinter sich abschloss, damit niemand merkte, dass jemand dort gewesen war.
    Sie brachte den Schlüssel an seinen Platz zurück und machte sich dann auf den Weg zu Pitts Zimmer. Natürlich war es ungehörig, jemanden um diese Stunde zu wecken, aber Not kennt kein Gebot. Sie wusste nicht, wann jemand kommen würde, um Julius abzuholen. Mit Sicherheit sähe Cahoon es umso lieber, je früher es geschah.
    Sie hatte nach wie vor das Kleid an, das sie beim Abendessen getragen hatte. Es war inzwischen völlig zerknittert, und ihre Haare begannen sich aus den Nadeln zu lösen. Vermutlich konnte man ihrem Gesicht ansehen, dass sie geweint hatte, aber all das war unerheblich. Ihr blieb keine Zeit, sich um Äußerlichkeiten zu kümmern.
    Es dauerte einige Minuten, bis sie Pitts Zimmer gefunden hatte,
und einige weitere, bis sie allen Mut zusammennahm und klopfte. Da er es beim ersten Mal nicht gehört zu haben schien, musste sie erneut klopfen. Nach einer Weile trat er in Nachthemd und Morgenrock aus der Tür. Er hatte die Flamme der Gaslampe in seinem Zimmer hochgedreht, und so konnte sie sein wirres Haar deutlich sehen.
    »Mrs Dunkeld? Fehlt Ihnen etwas? Ist etwas geschehen?«, fragte er beunruhigt.
    »Ich muss unbedingt mit Ihnen sprechen«, sagte sie so beherrscht sie konnte. »Es ist dringend, sonst würde ich Sie nicht um diese Stunde stören.«
    Mit den Worten »Ich bin in fünf Minuten wieder da« kehrte er in sein Zimmer zurück. Schon bald kam er vollständig angezogen heraus; er schien sich sogar mehr oder weniger gekämmt zu haben. Allerdings war er unrasiert, und auf seinem Gesicht lag der Ausdruck von Erschöpfung. Er ging ihr zu seinem Arbeitsraum voraus, entzündete die Lampen und

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