Die Tote von Buckingham Palace
seinem Zimmer in Verbindung stand. Dann legte sie sich hin. Sie zitterte so heftig, dass sie das Gefühl hatte, die Bewegung übertrage sich auf das Bett.
Sie wusste nicht, wie lange es gedauert hatte, bis sie sich etwas ruhiger wieder aufsetzen und anfangen konnte nachzudenken. Sie hatte sich keinen anderen Ausweg gelassen als den Kampf. Endlich hatte sie eine Entscheidung getroffen. Vielleicht war es die falsche, aber das war besser, als von vornherein zu unterliegen, weil sie nie den Mut oder die innere Stärke gefunden hatte, ihm Widerstand zu leisten.
Wie es aussah, hatte Minnie einen so großen Teil der Wahrheit entdeckt, dass jemand es für nötig gehalten hatte, sie zum Schweigen zu bringen. Allem Anschein nach hatte zerbrochenes Limoges-Porzellan dabei eine Rolle gespielt. Als Cahoon es beschrieben hatte: Weiß und Gold mit etwas Blau, hatte sie es deutlich vor sich gesehen – ein Tafelaufsatz mit goldenem Rankenwerk um den Rand, Girlanden aus rosa Rosen, ein Bild in der Mitte, das einen Mann und eine Frau zeigte, die auf einer Gartenbank saßen, beide blau gekleidet. Dies Bild war ihr vor Augen getreten, weil es das einzige Stück Limoges-Porzellan war, das sie je bewusst gesehen hatte. Natürlich konnte das, um das es hier ging, etwas völlig anderes gewesen sein.
Dann kam ihr zu Bewusstsein, wo sie es gesehen hatte, und ein
eiskalter Schauer überlief sie. Der Tafelaufsatz hatte sich in dem Gepäck befunden, das Cahoon mit in den Palast gebracht hatte. Daher also kannte er es! Er hatte nicht das Geringste zu folgern oder herzuleiten brauchen.
Vielleicht hatte es nichts mit dem Mord an der Prostituierten zu tun, und er hatte die Gelegenheit genutzt, Julius als Schuldigen hinzustellen, indem er sich dieses Porzellangegenstandes auf irgendeine Weise bedient hatte.
Aber wie? Sie konnte keinen Sinn darin erkennen. Hatte er nicht angedeutet, der Tafelaufsatz habe sich in den Privatgemächern der Königin befunden? Und wusste der Polizist etwas darüber? Sicherlich ahnte er nicht, dass Cahoon einen so gut wie identischen mitgebracht hatte. Gleich am nächsten Morgen wollte sie es dem Mann sagen. Zwar würde Cahoon ihr das nie verzeihen, aber da sie ihm ohnehin den Krieg erklärt hatte, gab es kein Zurück mehr. Falls sie nicht gewann, würde er sie irgendwelcher unverzeihlicher Fehltritte bezichtigen und als Ehebrecherin aus dem Weg räumen oder – ihr gar unterstellen, in den Mord an der Prostituierten verwickelt zu sein.
Es gab niemanden, an den sie sich hätte um Hilfe wenden können. Alle hatten mit ihren eigenen Kämpfen zu tun: Liliane wollte Hamilton davor bewahren, sich vollends um den Verstand zu trinken. Warum? Liebte Liliane Julius nach wie vor?
Olga wollte Simnel von einer Toten zurückerobern, deren Lebenslust und fröhlichem Lachen sie nie etwas Vergleichbares würde entgegensetzen können und zu deren Selbstsucht, Hunger nach Abenteuern und gelegentlichen Anwandlungen von Grausamkeit sie sich nie herablassen würde.
Und Simnel, der eigentlich kämpfen müsste, um seinen Bruder Julius zu retten und zu schützen, war zu sehr von Neid zerfressen, als dass er diesen selbstverständlichen Dienst hätte leisten können.
Gäbe es doch nur die Möglichkeit, mit Julius zu sprechen! Wenn sie ihn fragen und seine Antwort hören könnte, wüsste sie sicher, ob sie ihm Glauben schenken konnte oder nicht. Alle
glaubten Cahoon aufs Wort. Niemand hatte Julius gefragt – oder vielleicht wenigstens der Polizist?
Julius war eingeschlossen, und nur der Oberdiener hatte einen Schlüssel zu seinem Zimmer, damit man ihm Essen bringen konnte. Wenn man ihn am nächsten Tag holte, würde sie ihn nie wiedersehen. Es gab nur einen Weg: Sie musste warten, bis alle schliefen, dann nach unten gehen und die Schlüssel suchen, und wenn es bei Kerzenlicht war und die halbe Nacht dauerte.
Sie wartete bis zwei Uhr. Trotz aller Erschöpfung hätte sie nicht schlafen können, und doch wagte sie nicht, sich wenigstens hinzulegen, weil sie fürchtete, doch einzuschlafen und erst wach zu werden, wenn es wieder hell war. Dann hätte sie ihre einzige Chance verspielt.
Als sie auf Zehenspitzen die Treppe hinabschlich, als stehe sie im Begriff, ein Verbrechen zu begehen, kam sie sich töricht vor. Vermutlich verstieß es gegen irgendwelche Gesetze, jemandem, der sozusagen gefangen saß, die Tür aufzuschließen. Zumindest war es grober Missbrauch der Gastfreundschaft des Kronprinzen. Falls jemand davon erführe, würde sie
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