Die Tote von Buckingham Palace
ebenfalls.«
Bei diesen Worten errötete Minnie.
»Setzen Sie sich und lassen Sie die Dummheiten«, sagte Hamilton Quase gelassen und mit leisem Spott zu Dunkeld. »Wir sollten uns nichts vormachen – wir alle haben Angst. Hier im Palast läuft ein gemeingefährlicher Irrer frei herum. Es könnte jemand von der Dienerschaft sein, aber da es im Treppenhaus keine Absperrungen gibt, hat er die Möglichkeit, jederzeit und überall zuzuschlagen. Das sieht man allein schon daran, dass die
Beklagenswerte in einer Wäschekammer auf unserem Stockwerk entdeckt worden ist. Gott gebe, dass der Polizeimensch sein Handwerk versteht und uns den Mann so schnell wie möglich vom Halse schafft.«
Dunkeld sah ihn kalt an. »Haben Sie überhaupt eine Vorstellung, wovon Sie reden? Ich habe die Leiche gesehen! So etwas können Sie sich mit Sicherheit nicht vorstellen. Oder vielleicht doch? Wie lange waren Sie eigentlich in Afrika?«
Liliane fasste ihre Fischgabel wie eine Waffe; ihre Fingerknöchel standen weiß hervor. Sie sah Dunkeld an, ihre Augen sprühten Hass. »Lange genug, um im Angesicht einer Tragödie Mut und Entschlossenheit zu zeigen und um zu wissen, wie man Menschen hilft, statt seine Beherrschung und seine Urteilskraft zu verlieren und damit alles noch schlimmer zu machen«, sagte sie laut. »Und Sie?«
Ihr Mann sah sie überrascht an. In seinem Blick lag mit einem Mal überquellende Zärtlichkeit. Dann wandte er sich Dunkeld zu.
Elsa fragte sich, worauf das Ganze hinauslaufen sollte. Sie erkannte eine leichte Röte auf Quases Gesicht und sah, dass Sorokines Augen geweitet waren. Offensichtlich wussten die beiden, wovon sie sprachen, während sie, Minnie und Olga gänzlich im Dunkeln tappten.
Langsam setzte sich Dunkeld wieder.
Elsa spürte, wie sie vor Erleichterung zitterte.
Die Dienstboten, die vom Tisch zurückgetreten waren, nahmen schweigend ihre Arbeit wieder auf, und einer nach dem anderen begannen die Gäste erneut zu essen.
Elsas Gedanken jagten sich. Was hatte Cahoon gemeint? Irgendwie ging es um einen Angriff auf Quase, und seine Frau war in die Bresche gesprungen, um ihn zu schützen, wie sie das des Öfteren zu tun schien. Wovor? Was machte ihr Angst? Dunkelds Worten zufolge war eine Prostituierte ermordet worden, und jetzt hatten sie alle Angst. Aber war es bei allen die gleiche Angst, oder unterschied sie sich von einem zum anderen?
Der Hauptgang wurde aufgetragen. Dunkeld kam wieder auf das Eisenbahnprojekt zu sprechen. Die anderen Herren beteiligten sich je nach ihrem Fachgebiet an der Unterhaltung und erwogen, welche Schwierigkeiten auftreten konnten und auf welche Weise man sie meistern würde.
Marquand, der Fachmann für Finanzen, verstand es glänzend, Gelder zu günstigen Bedingungen zu beschaffen. Sein Beitrag zur Unterhaltung war überwiegend trocken. Es ging dabei um Namen von Bankiers und wohlhabenden Einzelpersonen, die seiner Ansicht nach bereit waren, in das Vorhaben zu investieren. Die Fülle seines Wissens war ebenso beeindruckend wie sein Gedächtnis für Einzelheiten. Nicht nur wusste er, wie viel jeder der Genannten besaß, er kannte auch den Hintergrund eines jeden von ihnen genau und konnte, wenn er Lust dazu hatte, durchaus amüsant darüber plaudern.
Zwar wandte er sich meist unmittelbar an Dunkeld, doch sah er abwechselnd auch die anderen an, um zu zeigen, dass er sie ebenfalls als Zuhörer betrachtete. Seine Blicke streiften die Damen beiläufig, doch wenn er Minnie ansah, lag in seinen Augen ein stilles Leuchten, und er sah rasch beiseite, als sei ihm klar, dass er sich mit seinen Blicken verraten hatte.
Nur zu seinem Bruder Julius sah er nicht ein einziges Mal hin. Lag das an einem Schuldbewusstsein, weil Minnie dessen Frau war, oder ging es um etwas Älteres und tiefer Reichendes? Wollte er Minnie ganz für sich haben, oder hatte es damit zu tun, dass er Julius durch sein Techtelmechtel mit ihr Hörner aufgesetzt hatte?
Die Unterhaltung wandte sich jetzt dem diplomatisch kniffligsten Teil des Unternehmens zu. Dabei ging es, wie Minnie schon gesagt hatte, um den Gebietsstreifen zwischen Deutsch-Ostafrika und dem belgischen Kongo. Knapp umriss Sorokine, inwiefern das sowohl politische als auch logistische Schwierigkeiten mit sich brachte. Er verfügte über die Gabe, Menschen zu überreden und Kompromisse zu unterbreiten, und da er die Bestrebungen aller Völker, um die es ging, ebenso kannte wie ihre Ängste, Stärken und Schwächen, war es ihm möglich, eine
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