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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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glaubten die Leute, etwas zu wissen.« Cahoon setzte seine Mahlzeit fort. »Keiner von uns weiß so viel über andere Menschen, wie er annimmt.« Er sah sich um und ließ seine Augen einen Moment lang auf jedem Einzelnen der Anwesenden ruhen. »Wir kennen einander alle mehr oder weniger seit Jahren, trotzdem habe ich zum Beispiel keine Ahnung davon, welche Träume durch deinen Kopf gehen, Julius, oder durch Ihren, Hamilton. Was ist im Augenblick dein größter Wunsch, Simnel?«
    »Eine ungestörte Mahlzeit und ein ertragreicher Nachmittag«, gab dieser schlagfertig zurück, doch seine Wangen waren leicht gerötet. Er wich Dunkelds Blick aus und sah auch Olga nicht an.
    Es war Elsa klar, dass seine Gedanken um Minnie kreisten. Vielleicht ging es allen so. Ein rascher Seitenblick zu Olga zeigte ihr, dass sie vorgebeugt dasaß und der Stoff ihres Kleides sich über ihren Schultern spannte. Sie war bleich. Elsa hasste Cahoon in diesem Augenblick wegen seiner Gefühlskälte.
    Minnie, die sich auf ihren Teller zu konzentrieren schien, glühte
innerlich vor Befriedigung. Dunkel lag der Schatten ihrer Wimpern auf ihren Wangen.
    »Mit einem Messer aufgeschlitzt?«, sagte Elsa. »Wer nimmt denn zu einem Stelldichein in der Wäschekammer ein Tranchiermesser mit? Das ergibt doch nicht den geringsten Sinn.«
    »Flittchen tranchieren ergibt nie einen Sinn, ganz gleich, wo man es tut, Elsa«, knurrte Cahoon. »Dir ist ja wohl klar, dass wir es hier nicht mit einem Menschen zu tun haben, der bei klarem Verstand ist?«
    Sie fühlte sich gedemütigt, doch fiel ihr nichts ein, womit sie ihm das hätte heimzahlen können. Sie hatte gesprochen, ohne groß nachzudenken. Selbstverständlich war auch ihr klar, dass es sich nur um die Tat eines Geistesgestörten handeln konnte.
    Sonderbarerweise kam ihr Hamilton Quase zu Hilfe.
    »Jemand, der sich so unauffällig aufführt, dass er als Palastdiener durchgehen kann, dürfte in nahezu jeder Hinsicht den Eindruck eines normalen Menschen machen«, sagte er beiläufig, als drehe sich das Gespräch um ein Gesellschaftsspiel. »Wenn er mit wild rollenden Augen und Blut an den Händen die Treppen rauf-und runtergelaufen wäre, hätte das sicher jemand gemerkt.«
    »Immer vorausgesetzt, dass die Leute nüchtern waren«, sagte Olga giftig. »War einer von euch heute Nacht so nüchtern, dass er so etwas gemerkt hätte?«
    »Das ist überhaupt nicht nett von Ihnen«, sagte Hamilton und hob erneut sein Glas an die Lippen. »Man sollte einen Mann nie an seine Verfehlungen erinnern, schon gar nicht in Anwesenheit seiner Frau.«
    »Sie ist der einzige Mensch, bei dem Sie gut aufgehoben sind«, gab Cahoon zurück und sah über den Tisch hinweg zu Liliane, deren Augen glänzten und deren Wangen leicht gerötet waren. Auch sie schien zu überlegen, was sie sagen könnte, offenbar ohne dass ihr etwas einfiel. Einen Augenblick lang legte sich ein Schatten auf ihre Züge wie ein Anflug von Hass, der aber schon im nächsten Augenblick wieder verschwunden war. »Selbstverständlich«, sagte sie mit reizendem Lächeln. »Halten wir nicht
immer zusammen, wenn es um Angehörige und Freunde geht? Es lohnt sich kaum, darüber zu sprechen.«
    Julius klatschte lautlos Beifall, was niemandem entging.
    Ein Schauer schien Minnie zu überlaufen. »Eine entsetzliche Vorstellung.« Mit elegantem Schulterzucken sah sie zu ihrem Vater hin und vermied es betont, einen der anderen anzusehen. »Ich hoffe, man findet ihn bald.«
    »Wenn du dich bis dahin mit keinem Dienstboten in der Wäschekammer verabredest, hast du nichts zu befürchten«, neckte Julius sie.
    Dunkeld erstarrte. Sein Gesicht rötete sich. »Was war das?«, fragte er mit einer Stimme, die wie Eis klirrte.
    Julius erbleichte ein wenig, hielt aber seinem Blick stand und wiederholte Wort für Wort, was er gesagt hatte.
    Dunkeld beugte sich vor und stieß dabei ein Glas mit Wasser um. Es war Elsa klar, dass sie eingreifen müsste, doch hatte sie Angst vor ihm, wenn er die Beherrschung verlor. Sie versuchte etwas zu sagen, aber ihr Mund war ausgedörrt und ihre Kehle wie zugeschnürt.
    Ohne auf das umgefallene Wasserglas zu achten, stieß Dunkeld hervor, wobei er vom Tisch aufsprang: »Du sprichst von meiner Tochter! Wenn du dich nicht bei ihr und allen anderen hier am Tisch entschuldigst, bekommst du meine Reitpeitsche zu spüren.«
    »Irrtum«, hielt Julius dagegen. »Ich spreche von meiner Frau. Du scheinst das bisweilen zu vergessen – und sie zweifellos

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