Die Tote von Buckingham Palace
Lösung
vorzuschlagen, die allen Beteiligten das Gefühl gab, einen Vorteil bei der Sache herausgeschlagen zu haben.
Elsa hörte seinen Worten aufmerksam zu und löste den Blick nur einmal von seinem Gesicht, als sie sah, dass Cahoon sie beobachtete, worauf Minnie lächelte. Julius hatte sie kein einziges Mal angesehen. Fürchtete er, sein Blick könnte zu zärtlich und zu aufdringlich wirken? Oder hatte er einfach nicht den Wunsch, sie anzusehen? Wie viel von dem, woran sie sich erinnerte, mochte lediglich Einbildung sein, auf ihre Wünsche zurückgehen, auf ihre verzehrende Sehnsucht, während er in all dem nichts sah als Höflichkeit? War es ihm möglicherweise sogar peinlich?
Minnie wirkte ungeheuer lebendig. Jetzt sah Cahoon sie aufmerksam an. In seinem düsteren Gesicht leuchteten die Augen vor Begeisterung. Seine Aufgabe war es, alle Beteiligten an einen Tisch zu bringen: jene, die das Feld bereiteten, mit jenen, die die eigentliche Arbeit taten. Er verstand es, den Einsatz von Maschinen und den Transport von Bauholz und Stahl auf lange Sicht und große Entfernungen zu planen, wusste, wo man das Material günstig kaufen und auf welche Weise man es transportieren konnte. Man merkte, dass er sich dem Vorhaben voll Leidenschaft verschrieben hatte, und die Begeisterung war seiner Stimme anzuhören. Er schien förmlich Energie auszustrahlen.
Die Bahnlinie, deren Pläne er jetzt vor ihnen ausbreitete, sollte künftig das Verkehrsrückgrat Afrikas bilden und über den Äquator hinweg auf eine Entfernung von gut elftausend Kilometern eine Verbindung zwischen dem Kap der Guten Hoffnung und dem Nildelta und damit dem Mittelmeer herstellen. Unwillkürlich fühlte sich Elsa von seiner Begeisterung angesteckt.
Zum Schluss sprach Quase, der Ingenieur. Er war nicht nur imstande, zu beurteilen und abzuwägen, was offensichtlich war, sondern besaß darüber hinaus die Fähigkeit, Möglichkeiten einzubeziehen, auf die sonst niemand verfallen war. Er hatte originelle Lösungen für Komplikationen bereit und verstand es, neuartige Möglichkeiten zur Erledigung schwieriger Aufgaben zu entwickeln. Er sprach verständlich und würzte seine Rede mit
einem trockenen Humor voll Selbstironie. Setzte er dies Mittel bewusst ein, weil ihm jemand klar gemacht hatte, dass Eigenlob vulgär ist? Oder schätzte er seine Fähigkeiten tatsächlich so gering ein?
Sie sah zu Liliane hinüber, weil sie wissen wollte, ob auch sie das gemerkt hatte, und erkannte in ihrem Blick Angst, ohne dass sie gewusst hätte, wovor sie sich ängstigte. Sogleich wünschte sie, das nicht begriffen zu haben; sie kam sich vor wie ein Eindringling.
Die von den Herren am Tisch ausgebreiteten Fakten interessierten sie nicht sonderlich. Selbstverständlich hatte sie den Wunsch, dass sie mit ihrem Projekt Erfolg hatten, weil ihnen so sehr daran lag. Sie würden damit unendlich viel Geld verdienen und, wichtiger noch, Ruhm und Ehre gewinnen. Ihr war klar, dass sich Cahoons Ehrgeiz auf diese Ziele richtete.
Er saß mit angespannter Aufmerksamkeit da. Seine Schultern hingen leicht herab, als enge ihn der schwarze Smoking ein.
Er erstrebte Anerkennung und einen Adelstitel, weil er dann endgültig zum engeren Kreis der Vertrauten um den Kronprinzen gehören würde. Etwas Begehrenswerteres gab es im ganzen Lande nicht, da die Königin keine solche Runde mehr um sich herum scharte. Seit der Prinzgemahl Albert vor über dreißig Jahren gestorben war, hatte sie sich geradezu von der Welt zurückgezogen.
Elsa sah, wie Minnie ihren Vater von der gegenüberliegenden Seite des Tisches aus beobachtete. Trotz der Wärme in ihrem Blick und dem entspannten Ausdruck um Augen und Mund war deutlich zu sehen, dass sie sich nicht vollständig wohlfühlte.
Alle taten so, als konzentrierten sie sich ganz und gar auf die Einzelheiten des großen Vorhabens – doch wie viele von ihnen mochten insgeheim ihre eigenen Ziele verfolgen? Was fand Minnie so verlockend an Simnel Marquand? Wollte sie erproben, wie groß ihre Macht über ihn war, weil sie bei ihrem Mann die Leidenschaft nicht fand, nach der sie sich so sehr sehnte?
Mit einem Mal hatte Elsa ein schlechtes Gewissen. Und wenn
sie selbst jetzt an Minnies Stelle wäre, mit Julius verheiratet? Dann befände sie sich in den Augen der anderen im Besitz eines Glücks, nach dem sich jede Frau sehnte. Doch womöglich war Minnie in Wahrheit ebenfalls einsam, lebte eine Nähe ohne Vertrautheit, ohne dass etwas ihr Herz erreichte. Wie vielen
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