Die Tote von Buckingham Palace
erwähnen, geschweige denn, sich davon aus der Fassung bringen zu lassen.«
»Ausgesprochen ordinär!«, sagte Minnie von der Tür her. »Ein Gast darf nie den Eindruck erwecken, als finde er im Hause seines Gastgebers etwas sonderbar, was auch immer es sein mag. Guten Morgen, Elsa, Mrs Marquand, Mrs Quase.« Sie sah hinreißend aus. Der Rock ihres am Hals und den Manschetten mit Bändern verzierten Kleides von sattem Goldgelb schwang bei jeder Bewegung. Ihre Haut war glatt, ihre Augen leuchteten, und von ihr ging eine Art beherrschter Energie aus, die sie lebendiger erscheinen ließ als alle anderen. Man hätte glauben können, sie wisse etwas, was jenen nicht bekannt war. Von Zeit zu Zeit fragte sich Elsa, ob es sich tatsächlich so verhielt.
»Ich schlage vor, dass wir einfach nicht darüber sprechen«, fügte Minnie hinzu und ging zur Esszimmertür. »Wo sind eigentlich die anderen?«
»Es ist aber mehr als ein häuslicher Zwischenfall«, sagte Elsa beißend. Minnies Gefühlskälte reizte sie ebenso sehr wie fast alles andere an dieser Frau, an der ihr Vater Cahoon fasziniert und voll Bewunderung hing, als sei sie ein Spiegelbild seiner selbst. Und dass sie mit Julius Sorokine verheiratet war, machte die Sache für Elsa nur noch unerträglicher.
»Aber nicht die Spur«, widersprach ihr Minnie und zuckte die Achseln. »Menschen sterben nun einmal, daran lässt sich nichts ändern. Das groß herauszustreichen ist ungehörig. Mir wäre es ungeheuer peinlich, wenn eins meiner Dienstmädchen auf eine so ordinäre Weise zu Tode käme, während ich Gäste im Hause habe.«
»Selbstverständlich«, stimmte Julius Sorokine zu, der gerade aus dem Vorraum hereintrat. »Das Privileg, auf ordinäre Weise umzukommen, ist der Oberschicht vorbehalten. Dienstboten sollten auf schickliche Weise im Bett sterben.«
»Lass die Witze«, fuhr ihn Minnie an. »Das passt nicht zu dir. Außerdem war sie kein Dienstbote, sondern eine …«
»Und wo sollten die deiner Ansicht nach sterben, meine Liebe? Auf der Straße?«, fragte er mit gelangweilter Stimme.
Sie sah ihn mit großen Augen an. »Also bitte. Ich habe noch nie einen Gedanken daran verschwendet.« Mit eleganter Drehung wandte sie sich um und ging ins Esszimmer.
Er folgte ihr, wobei er Elsa mit wehmütigem Lächeln ansah.
Sie spürte, wie sich ihr die Kehle zusammenschnürte und ihr Herzschlag stockte. Gleich darauf aber rief das Eintreten seines Halbbruders Simnel sie in die Wirklichkeit zurück. Die beiden ähnelten einander in keiner Weise. Julius war größer und hatte breitere Schultern, und sein Mund ließ Elsas Ansicht nach auf mehr Vorstellungskraft und feinere Empfindungen schließen. Allerdings war sie nicht sicher, ob sich ihre Annahmen mit der Wirklichkeit deckten. Vielleicht handelte es sich um nichts weiter als Wunschdenken.
»Was zum Kuckuck wird hier gespielt?«, erkundigte sich Simnel und sah sich um. »Wer sind diese beiden Männer, die das Personal mit ihren Fragen zur Verzweiflung treiben? Ich habe gerade ein in Tränen aufgelöstes Dienstmädchen gesehen, das vor mir davongelaufen ist, als wäre ich der leibhaftige Gottseibeiuns.«
Cahoon Dunkeld folgte ihm praktisch auf dem Fuße. »Es hat einen unangenehmen Zwischenfall gegeben«, sagte er, als habe die Frage ihm gegolten. »Eins der Flittchen von gestern Abend ist umgebracht worden. Leider mussten wir die Polizei hinzuziehen, aber wenn die Leute ihre Aufgabe ordentlich erledigen, dürfte das Ganze nicht mehr als einen Tag in Anspruch nehmen. Wir sollten einen kühlen Kopf bewahren und unsere Arbeit tun. Jetzt gehen wir erst einmal essen.« Das war eher ein Befehl als eine Anregung. »Wo ist eigentlich Hamilton?«
Es gefiel Elsa nicht, dass ihr Mann das Wort ›Flittchen‹ benutzt hatte. Es klang so herzlos. Zwar hatte sie Verachtung für die Frauen empfunden, die man am Vorabend in den Palast geholt hatte, doch jetzt, da eine von ihnen tot war, erfüllte sie eine Art Unbehagen, wenn nicht gar innere Unruhe. Sie führte das auf das Gefühl zurück, dass es zwischen ihr und jenen Frauen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede gab.
Ihr Mann ging ins Esszimmer, sodass ihr nichts anderes übrig blieb, als mit Olga zu folgen. Da der Kronprinz nicht anwesend sein würde, war es nicht erforderlich, die Formen peinlich genau zu wahren. Alle setzten sich auf denselben Platz wie am Vortag, wobei die Lakaien den Damen behilflich waren.
Zwar war auch dieser Raum erlesen eingerichtet, doch wirkte er auf
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