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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nebenan bei der Wäsche zu helfen, beschloss sie, sich den Raum und was es darin gab, ein wenig genauer anzusehen. Als sie einen der anderen Wäschekörbe ein Stück vorzog und öffnete, schlug ihr Herz heftig. Die weißen Laken darin waren voller ins Bräunliche gehender roter Flecken. Sicher war das eingetrocknetes Blut. Unwillkürlich befiel sie eine Aufwallung von Übelkeit, die sie nur mit Mühe niederzukämpfen vermochte. Die arme Frau. Es musste furchtbar gewesen sein. Benommen fragte sich Gracie, was einen Menschen zu einer solchen Tat veranlassen konnte, noch dazu mitten im zivilisierten England.
    Dann aber musste sie daran denken, dass im Palast vieles anders war, als sie angenommen hätte. Sie befand sich im Wohnsitz der Königin, einem Ort, der sich von allen anderen auf der Welt hätte unterscheiden müssen. In Wahrheit aber gab es dort Staub und Wasserränder auf den Tischen, lag Zigarrenasche auf dem
Teppich, der stellenweise abgetreten war, ganz wie in anderen Häusern. Der einzige Unterschied bestand darin, dass sie daheim nicht hinter Pitt aufzuräumen brauchte und er seine Teppiche und Tische mit größerer Sorgfalt behandelte, denn seine Mittel gestatteten es ihm nicht, einfach hinzugehen und verdorbene durch neue zu ersetzen. Ganz im Gegenteil hatte er lange sparen müssen, bis er überhaupt welche kaufen konnte.
    Einer der männlichen Gäste musste ein Mörder sein. Warum hatte er die Frau umgebracht? Welche Art von Wutanfall veranlasste jemanden, so etwas zu tun? Und nahm der Betreffende an, er werde ungestraft davonkommen? Sie hatte bereits gemerkt, dass die Dienstboten im Palast die hohen Herrschaften weitgehend von der Wirklichkeit abschirmten. Ob sie in gleicher Weise bereit wären, eine solche Tat zu decken? Gehörte etwa auch das zu den Aufgaben eines Dienstboten? Bezahlte man sie nicht nur dafür, dass sie ihre Arbeitskraft zur Verfügung stellten und gehorsam taten, was man ihnen auftrug, sondern kaufte man damit zugleich auch ihr Gewissen? Sie konnte sich nur allzu gut vorstellen, was Tellman dazu zu sagen hätte!
    Aber ließ sich auf diese Weise auch verhindern, dass ein Verbrecher für seine Taten bestraft wurde? Das war für sie ein gänzlich neuer Gedanke. Hatte Pitt hier überhaupt die Möglichkeit, dem Gesetz zur Geltung zu verhelfen? Falls aber nicht – warum versuchten die Leute dann mit schönen Worten den Eindruck zu erwecken, als wollten sie, dass er den Schuldigen dem Gericht auslieferte, während es ihnen in Wahrheit darum ging, die Sache zu vertuschen und unter sich auszumachen? Die Antwort darauf wusste sie: weil sie ohne Pitts Mitwirkung dem Täter nicht auf die Spur kommen würden. Sie mochten auf seinen scharfen Intellekt angewiesen sein, mit seiner Rechtschaffenheit aber konnten sie nichts anfangen. Wie wollten sie erreichen, dass Pitt nicht über das sprach, was er erfuhr? Schwebte er in einer Gefahr, von der er nichts ahnte?
    Trotz der Wärme, die in dem vom Geruch nach Waschsoda und Seife erfüllten Raum herrschte, überlief sie ein kalter Schauer. Was
konnte sie tun, um ihm zu helfen? Sollte sie ihn warnen? Wäre das gut, oder würde es seine Situation nur verschlimmern?
    Erneut wandte sie sich den Laken zu und zog immer mehr davon heraus, bis sie den Boden des Korbes erreicht hatte. Möglicherweise war das ihre einzige Gelegenheit, sie sich näher anzusehen, bevor sie gewaschen wurden. Noch nie hatte sie so feine und weiche Bettwäsche in Händen gehabt. Sie war so dünn, als bestünde sie aus Seide. Und aus diesem wunderschönen Material stieg ihr süßlicher Blutgeruch in die Nase.
    Jedes der Laken war an den Kanten mit einer feinen Hohlsaumstickerei verziert. Gracie war tief beeindruckt. Sie hatte Frauen gesehen, die solche Stickarbeiten ausführten – es dauerte Stunden. Manche Laken wiesen noch weitere Stickereien auf, und die beiden schönsten trugen in Plattstich etwas, was wie ein V und ein R aussah, mit einer kleinen Krone darüber: Victoria Regina . Das aber konnte nur bedeuten, dass auch Laken aus dem persönlichen Besitz der Königin in eben der Wäschekammer gewesen waren, in der die arme Frau ihr Ende gefunden hatte! Sie waren zerknittert, also musste jemand sie benutzt und vermutlich sogar darin geschlafen haben. Es fand sich nur wenig Blut darauf, und es sah ganz so aus, als sei es vom Körper eines Menschen dorthin gelangt, der sich auf diesen Laken gewälzt hatte.
    Gracie handelte rasch. Sie musste die beiden Laken an einer Stelle verstecken,

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