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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Newsome: »Was tun Sie hier, Gracie?« Sie ließ ihre Blicke von ihr zu Mr Tyndale
wandern, dessen Gesicht sich jetzt mit einer Mischung von Ärger und Unbehagen ebenfalls rötete.
    »Sie ist gekommen, um …«, setzte er an und verstummte, als er Mrs Newsomes eisigen Blick sah.
    Unwillkürlich fielen Gracie Ada und Edwards auf der Treppe zur Waschküche ein, und sie spürte, wie es ihr heiß in die Wangen stieg. Was Mrs Newsome da anzunehmen schien, war widersinnig und empörend. Gracie musste unbedingt etwas für Mr Tyndale tun, der nur deshalb in diese missliche Lage geraten war, weil er ihr helfen wollte. Selbst wenn es ihm gleichgültig sein sollte, was Mrs Newsome von ihm hielt, dürfte es ihm auf keinen Fall recht sein, dass man ihn verdächtigte, sich in ungehöriger Weise mit einem gerade erst eingestellten Dienstmädchen abzugeben, das nicht einmal halb so alt war wie er.
    Rasch log Gracie: »Ich hab ’m gesagt, dass der Polizist ’n sprechen will, Ma’am.«
    »Ach nee«, sagte Mrs Newsome kalt. »Und wieso wollte der Mann, dass Sie so ’ne Mitteilung überbringen?«
    »Ich nehm an, weil ich grade in der Nähe war«, sagte sie mit weit aufgerissenen Kinderaugen.
    »So, so.« Mrs Newsomes Gesicht war nach wie vor finster. »Nun, in Zukunft tun Se, was Se zu tun ha’m, ohne mit Polizisten zu sprechen. Und gehen Se mir nie wieder in die Geschirrkammer oder ’nen andern Raum und machen die Tür hinter sich zu. Is’ das klar? So was gehört sich nich’.«
    »Ja, Ma’am. Ich meine, nein, Ma’am. Ich tu das nich’ mehr.« Es kostete Gracie große Mühe, ihren Zorn herunterzuschlucken und ihre Selbstachtung zu unterdrücken.
    »Sie hat die Tür auf meine Aufforderung hin geschlossen, Mrs Newsome.« Mit einem Mal hatte Mr Tyndale die Sprache wiedergefunden. »Ich wollte nicht, dass jemand mitbekommt, was mir der Mann von der Polizei mitzuteilen hatte. Schlimm genug, dass diese Leute überhaupt hier sind. Sie bringen alles durcheinander.«
    Auf Mrs Newsomes Züge trat ein Ausdruck von Abscheu, der
nahezu belustigend wirkte. »Wem sagen Se das?«, fragte sie spitz. »Während Sie hier mit Gracie Messer zählen, versuch ich rauszukriegen, wo sich Ada rumtreibt, und muss Mrs Oliphant beruhigen, weil se glaubt, man will se im Schlaf umbringen, muss Biddie klarmachen, dass das nich’ der richtige Augenblick is’, ’n Dienst aufzukündigen. Erstens müsste die Polizei damit einverstanden sein, und zweitens braucht sie nich’ damit rechnen, von mir ’n gutes Zeugnis zu kriegen, wenn se uns jetzt im Stich lässt, wo wir mitten im Schlamassel sitzen. Außerdem muss ich Norah beruhigen; die steht kurz vor ’nem hysterischen Anfall. Und zu allem Überfluss soll ich noch dafür sorgen, dass auf ’m Korridor sauber gemacht wird und sich jemand um die Bügelwäsche kümmert.« Sie unterbrach ihren Redestrom kurz, versuchte, eine vorwitzige Haarsträhne zu bändigen, die ihr in die Stirn gefallen war, und fuhr dann fort: »Ich weiß nich’, ob Se ’s schon gemerkt ha’m, aber ’s fehlt ’n Tafelmesser. Vierundzwanzig müssen ’s sein.« Während sich Gracie Mrs Newsomes Tirade anhörte, sah sie sie aufmerksam an und merkte erstaunt, dass sie recht gut aussah und nicht annähernd so alt war, wie sie ursprünglich angenommen hatte. Auch entdeckte sie hinter der Aufregung dieser Frau eine tiefe Verletzlichkeit. Sie war unübersehbar eifersüchtig. So sonderbar das scheinen mochte, so verständlich war es. Vermutlich konnte sie Mr Tyndale gut leiden.
    »Mir … mir ist klar, dass die Gegebenheiten gerade jetzt besonders schwierig sind. Versuchen Sie bitte, das Beste daraus zu machen, Mrs Newsome. Das Fehlen eines der Tafelmesser ist mir in der Tat bereits aufgefallen, und ich werde mir Cuttredge deswegen vornehmen.« Er schob die Lade mit dem Einsatz aus grünem Filz zu, der für jedes einzelne Messer eine Vertiefung vorsah, und schloss sie mit einem der Schlüssel ab, die ihm an einer silbernen Kette von der Weste hingen. Mit den Worten »Es ist wohl besser, ich suche den Polizisten auf, um zu sehen, was er von mir will« verließ er den Raum.
    Gracie und Mrs Newsome sahen einander wortlos an. Das Schweigen wurde immer unbehaglicher.

    »Kann ich wieder gehen, Ma’am?«, fragte Gracie schließlich. Ihr Mund war wie ausgedörrt. Sie kannte keinen anderen Wunsch, als der Bedrückung zu entfliehen, die in der Atmosphäre lastete. Auf keinen Fall durfte Mrs Newsome erfahren, was Gracie gesehen hatte, denn niemand

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