Die Tote von Buckingham Palace
nicht zu berühren, nichts richtig zu verstehen. Wie oft gaben solche Menschen auf und versuchten einfach nicht mehr, mit anderen in Verbindung zu treten?
Ob Prinzessin Alexandra überhaupt bewusst war, dass es im Palast einen Mord gegeben hatte? Wahrscheinlich nicht. Vielleicht lebte sie am Rande von allem, was geschah.
Lord Taunton und Lady Parr wurden angekündigt, hereingeleitet und dann allen Anwesenden vorgestellt. Amelia Parr trug ein Kleid aus pflaumenblauer Seide, ein Farbton, der bestens zu ihrer Haut passte, sich aber abscheulich mit dem von Minnies scharlachrotem Kleid biss. Ein Seitenblick auf Cahoon zeigte Elsa, dass er es bewunderte und sich über den Kontrast zu belustigen schien.
Der Majordomo kündigte an, dass das Mahl aufgetragen würde, und so schritt man in genau festgelegter Reihenfolge zur Tafel. Die Prinzessin war Lord Tauntons Tischdame. Elsa erkannte das Missvergnügen in Cahoons Augen. Lieber wäre er an dessen Stelle gewesen, aber er konnte weder mit einem Adelsprädikat
noch irgendeinem Status aufwarten, mit Ausnahme dessen, den der Besitz von Geld verlieh. An diesem Ort aber hatte Geld keine Macht, ganz gleich, wie reich jemand sein mochte.
Auf Elsa und Cahoon folgten Hamilton und Liliane, Simnel als der ältere Bruder mit Olga, dann Julius mit Minnie. Den Abschluss bildete der Kronprinz, der Lady Parr zu Tisch führte.
Beim ersten Gang konnte man zwischen Bouillon mit Gemüseeinlage, Dorschfilet mit holländischer Sauce und Meeräsche wählen. Im Bewusstsein dessen, dass noch mindestens zwei Fleischgänge folgen würden, einer davon angesichts der Jahreszeit sicherlich Wild, aß Elsa nur wenig. Danach würde man ihnen verschiedene Obsttörtchen und Vanillepudding zur Auswahl anbieten und dann Weintrauben oder anderes frisches Obst. Zum Abschluss der Mahlzeit wurde gewöhnlich Käse gereicht.
Nach einigen Stunden würden sich die Damen zurückziehen und die Herren zu Portwein und Zigarren übergehen. Dabei ließe es sich dann trefflich über Afrika und die Eisenbahn sprechen, während die Damen – sofern sie überhaupt miteinander sprachen – in ihrem Salon einfach Klatschgeschichten austauschten.
Wenn sich die Herren anschließend wieder zu ihnen gesellten, würde Lady Parr mit Cahoon und dem Prinzen, Minnie hingegen mit Simnel und natürlich ebenfalls mit dem Prinzen kokettieren. Liliane würde unbeholfen dabeisitzen und Olga sich immer elender fühlen. Elsa würde versuchen, sich etwas einfallen zu lassen, was sie sagen konnte, und sich letzten Endes genauso langweilig und vorhersagbar verhalten, wie es Minnie in ihrer herabsetzenden Art von Julius gesagt hatte.
Dabei hatte einer aus ihrem Kreis eine unglaublich unvorhersagbare Tat begangen und die Frau in der Wäschekammer umgebracht.
Ein Lakai goss ihr Weißwein ein.
War es möglich, dass die Frau des Täters, wer auch immer es sein mochte, wirklich ahnungslos war? Wie konnte man so wenig über den Mann wissen, mit dem man zusammenlebte, dessen Namen man trug und in dessen Bett man lag? Nichts wusste man
von dem, worauf es wirklich ankam, beispielsweise, woran er glaubte, was ihn ängstigte oder wonach er sich sehnte. Doch wenn sie es recht bedachte, wusste auch von ihr niemand, was ihr wirklich wichtig war, kannten andere lediglich die belanglosen Dinge, die sie von sich gab.
Sie musste achtgeben, dass sie zum Wein nicht zu wenig aß, damit sie keinen Schwips bekam. Es gab nichts Verabscheuenswerteres als eine betrunkene Frau: laut, taktlos und unendlich peinlich.
War es vorstellbar, dass Frauen gar nicht wissen wollten, wie ihr Mann wirklich war, weil ihnen unerträglich wäre, was dabei herauskam? Eine Frau lebte von Träumen, in denen es weder um Reichtum noch um Ruhm oder außergewöhnliche Schönheit ging und auch nicht um Macht. Denn welche Macht hatte eine Frau schon außer der Möglichkeit, durch ihr Beispiel auf andere Menschen einzuwirken? In diesen Träumen ging es darum, dass jemand sie liebte, den sie ihrerseits lieben und dem sie vertrauen konnte. Es ging um einen Mann, den sie bewunderte, der sie zum Lachen brachte, ihr den Eindruck vermittelte, die Welt sei besser, strahlender und klüger, weil sie darin lebte. Einen Mann, den sie mochte.
Lord Taunton richtete das Wort an sie. Sie reagierte mit einer nichtssagenden höflichen Antwort. Der Fisch wurde aufgetragen, zusammen mit Curryhummer und Fricandeau. Dazu gab es selbstverständlich wieder Wein.
Ob jemand, der nicht lieben konnte, das starke
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