Die Tote von Buckingham Palace
strahlendem Lächeln sagte sie zu Simnel: »Ein Gewitter kann richtig Spaß machen, findest du nicht auch?«
Er fühlte sich unübersehbar unbehaglich, wie jemand, den das Bewusstsein einer Schuld quält. Trotzdem konnte er den Blick nicht von ihr wenden.
Olga zog sich mit ungelenk wirkenden Bewegungen noch weiter zurück. Nahezu alle Farbe war aus ihrem Gesicht gewichen. Niemand hätte sagen können, ob ihr bewusst war, dass man darin lesen konnte wie in einem Buch.
Ein Blick auf Julius zeigte Elsa, dass er Mitleid mit ihr empfand. Das freute sie. Er war das genaue Gegenteil Cahoons. Ihr Mann war schwachen Menschen gegenüber äußerst unduldsam, um nicht zu sagen brutal. Oft hatte sie ihn sagen hören, dass Mitleid jeden Fortschritt hemmt, und innerlich dagegen aufbegehrt. Ob ihm nicht klar war, dass auch schöne, gütige und fröhliche Menschen genauso verletzlich sein konnten wie alle anderen?
Das Bewusstsein, dass sie vor ihm Angst hatte, bereitete ihr Übelkeit, und sie konnte sich nicht vorstellen, in dieser Verfassung etwas zu sich zu nehmen. Sie würde beständig an die Frau in der Wäschekammer denken müssen und daran, dass einer der hier anwesenden Männer sie getötet hatte. Wie sollte sie in diesem Bewusstsein den Abend überstehen, ohne dass ihr ungeschickt das Besteck aus den Händen fiel? Hatte Simnel es getan,
weil er Minnie begehrte und sich selbst dafür verachtete, dass er dies Gefühl nicht beherrschen konnte? Hatte er angenommen, die Sache werde dadurch besser, dass er eine bedauernswerte Frau umbrachte, die ähnliche Empfindungen in ihm wachrief? Oder war es Hamilton Quase gewesen, aus Gott weiß welchen Gründen? Hatte er sich betrunken gehabt, Angst empfunden und plötzlich jede Beherrschung verloren? Hatte ihn die Frau ausgelacht? Elsa versuchte, sich das vorzustellen. Es war widerlich und erbärmlich. Sie hoffte aufrichtig, dass es sich nicht so verhielt. Julius für den Täter zu halten, war sie nicht bereit. Der Gedanke wäre ihr unerträglich. Wirklich schade, dass Cahoon für die Tat nicht infrage kam.
Wie war es möglich, dass sie so etwas Widerwärtiges überhaupt dachte? Sie hatte in seinen Armen gelegen, hatte ihn vor langer Zeit sogar zu lieben geglaubt und angenommen, es sei ihr gelungen, in ihm zärtliche Empfindungen für sie zu wecken, wie er sie bis dahin für keinen Menschen gehabt hatte.
Wie töricht sie gewesen war! Der einzige Mensch, den er je geliebt hatte, war Minnie, und auch das war fraglich. Sie ähnelte ihm zu sehr, war zu stark, als dass sie sich herumkommandieren ließe, und das störte ihn an ihr.
Ein Lakai kam, und alle folgten ihm aus dem Salon des Gästetrakts in den beeindruckenden Bankettsaal, an dessen Wänden prunkvoll gerahmte Porträts von Vorfahren der königlichen Familie hingen. Dieser monumentale Saal mit den von Gold strotzenden Wänden, dessen mit Gitterwerk verzierte Decke fast wie in einer Kathedrale emporstrebte, war für eine Gesellschaft wie die ihre bei Weitem zu groß, und sie fragte sich, warum sich der Kronprinz für ihn entschieden hatte. Auch wenn die dunkelroten Samtportieren und der Teppich in gleicher Farbe dem Raum eine gewisse Wärme verliehen, wirkten die Menschen darin zwergenhaft und verloren, und selbst die lange Festtafel erschien winzig. Das Licht der Kronleuchter, das sich im Tafelsilber und dem Kristall der Gläser brach, blendete die Augen. Der Kaminsims und das Damasttischtuch waren weiß wie jungfräulicher Schnee.
Der Duft der Lilien, welche die Tischdekoration bildeten, ließ sie an ein Gewächshaus denken. An den Wänden aufgereiht, warteten livrierte Lakaien mit auf Hochglanz polierten goldenen Knöpfen und tadellos weißen Handschuhen auf das Zeichen, mit dem Servieren zu beginnen.
Das Prinzenpaar hieß die Gäste willkommen. Die mit blitzenden Diamanten geschmückte Prinzessin sah in ihrem mit Blau und Gold abgesetzten cremefarbenen Kleid überwältigend aus. Sie war eine klassische Schönheit, wirkte gelassen, distanziert und zugleich auch leicht verwirrt.
Während Elsa ihren Hofknicks machte und dabei lächelte, ging ihr die Frage durch den Kopf, wie viel die Prinzessin von dem, was um sie herum vorging, wahrnehmen mochte. Ihre Schwerhörigkeit musste für sie eine Art Hölle bedeuten, da sie nie genau wissen konnte, was geschah. Es musste ungefähr so sein, als bekomme man alles um einen herum durch eine dicke Glasscheibe mit. Zu sehen, aber nichts zu hören, Kenntnis von den Dingen zu haben, sie aber
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