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Die Tote von Buckingham Palace

Die Tote von Buckingham Palace

Titel: Die Tote von Buckingham Palace Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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Minnie trat mit schnellem Schritt ein. Das leuchtend scharlachrote Kleid wirkte im Kontrast zur schimmernden Haut ihrer glatten alabasterweißen Schultern geradezu wie ein Fanal. Das zu einer Hochfrisur aufgetürmte Haar ließ sie größer erscheinen, als sie war. Ihre Wangen waren gerötet, und der Schnitt des Kleides hob ihren Busen auf eine Weise hervor, die nachzuahmen Elsa nie gewagt hätte, obwohl die Natur sie auf diesem Gebiet mindestens ebenso freigebig bedacht hatte wie Minnie. Doch beruhte die von Minnie ausgehende Verlockung nicht auf Kurven, sondern auf ihrer Lebhaftigkeit, der herausfordernden Kühnheit ihres Blicks sowie der Anmut jeder ihrer Bewegungen. Sie schien beständig von einer Atmosphäre der Waghalsigkeit und Risikofreude umgeben zu sein, als stehe sie gerade im Begriff, etwas Aufregendes zu unternehmen.
    »Guten Abend«, sagte Olga leise. Niemand antwortete ihr.
    Minnie lächelte, ohne Julius zu beachten, der zwei Schritte hinter ihr ging. »Sind wir bereit, zum Angriff zu segeln?«, fragte sie munter. »Und was ist mit dir?«, wandte sie sich an Cahoon. »Bist du bereit, Lady Parr zu umgarnen?« Bevor er antworten konnte, fuhr sie an Elsas Adresse gerichtet fort: »Vielleicht solltest du das besser übernehmen. Dann verschlägt es ihr bestimmt die Sprache. Vor allem nach eurer letzten Begegnung«, fügte sie mit vielsagendem Lächeln hinzu.
    Elsa verstand die Anspielung nur allzu gut. Sie spürte, wie die Röte ihr heiß in die Wangen stieg, doch sie hatte keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen. Sie sehnte sich danach, ihrer Stieftochter etwas Herabsetzendes sagen zu können, deren zur Schau getragene Selbstsicherheit nur ein einziges Mal zuschanden zu machen. Zwar würde sie sich anschließend dafür verabscheuen,
aber es wäre wundervoll zu wissen, dass sie die Fähigkeit besaß, ihr in die Parade zu fahren.
    »Papa kann ja die Kronprinzessin anhimmeln, während sich Simnel und der Prinz mit Lord Taunton unterhalten«, fuhr Minnie fort. »Es ist wirklich völlig gleichgültig, was man ihr sagt. Sie wird kein einziges Wort hören, aber so tun, als ob alles sie brennend interessierte.« Sie warf ihrem Mann einen abschätzigen Blick zu. »Oder vielleicht sollte Julius mit ihr reden?«
    Die darin liegende Unterstellung war so bissig, dass niemand darauf einging.
    Elsa merkte, wie Wut in ihr aufstieg. Obwohl Cahoon sie schon oft aufgefordert hatte, in Situationen wie dieser den Mund zu halten, konnte sie nicht umhin, Minnie mit Schärfe in der Stimme zu antworten. »Ein glänzender Gedanke. Er kann sich benehmen, weiß, was sich gehört, und würde sie daher auf keinen Fall mit Ruhmredigkeit in Verlegenheit bringen.«
    »Selbstverständlich nicht«, gab Minnie ungesäumt zurück. »Bei ihm weiß man immer ganz genau, wie er sich verhalten wird.«
    »Ja, jeder außer dir«, giftete Elsa zurück. »Du könntest nicht einmal ein Unwetter vorhersagen, wenn der Himmel voller schwarzer Wolken hinge.«
    Minnie musterte sie mit leicht verächtlicher Miene von Kopf bis Fuß. »An einem kalten grauen Tag, an dem es den ganzen Vormittag geregnet hat, kann ich vorhersagen, dass es auch am Nachmittag regnet!«, sagte sie, wobei sie Elsas Kleid mit gehobenen Brauen kühl und mitleidig musterte.
    Elsa hätte gern etwas Vernichtendes darauf erwidert, womit sie Minnie ebenso tief treffen würde, doch fiel ihr nichts ein. Gelegentlich grenzten ihre Empfindungen für ihre Stieftochter an Hass.
    Julius lächelte. Wollte er damit verbergen, dass er litt, hatte er einfach nicht verstanden, worauf seine Frau hinauswollte, oder sollte das Lächeln über seine Verlegenheit hinwegtäuschen? »Hat jemand schon einmal ein Gewitter ohne Regen erlebt?«, fragte er in den Raum hinein. »Im Sommer kommt so etwas manchmal
vor. Sehr eindrucksvoll und auch ziemlich gefährlich. In Afrika gerät dabei mitunter die Savanne in Brand, und dann vernichtet das Feuer das Gras auf Tausenden von Hektar.«
    »Wie schrecklich«, murmelte Olga unbehaglich.
    »Ja. Aber was dann nachwächst, ist einfach großartig. Die Samen mancher Pflanzen keimen ausschließlich in der extremen Hitze.« Er sah rasch zu Elsa hinüber, wobei sein Blick einen Augenblick lang einen zärtlichen Ausdruck annahm, dann sah er wieder beiseite. Oder hatte sie sich das eingebildet?
    Minnie schien zunächst nicht zu wissen, was sie sagen sollte. Sie hatte begriffen, dass sie eine Schlappe erlitten hatte, war aber nicht sicher, wie es dazu gekommen war. Mit

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