Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
wurde aufgehalten.«
Sein Vater nickte. »Das dachte ich mir. Wie geht es bei der Arbeit?«
»Das erzähle ich dir unterwegs, Vater. Wir wollen Mutter nicht länger warten lassen.«
»Soll ich dir das Buch beiseitelegen, Sonenszajn?«, fragte Moische, als sich die beiden Männer zum Gehen wandten.
Dieser zwinkerte ihm zu. »Wenn Nussbaum das Fleisch für die Hochzeit seiner Tochter bei mir bestellt, können wir darüber reden.«
Dann verabschiedeten sich Vater und Sohn und ließen den Buchhändler in seinem papierenen Chaos allein.
Als es klingelte, sah Clara überrascht von ihrem Buch auf. Sie erwartete niemanden. Auf dem Weg zur Tür verspürte sie ein seltsames Gefühl im Magen.
»Leo!« Sie sah ihn überrascht an. »Komm herein.«
Er schloss die Wohnungstür hinter sich.
»Möchtest du etwas essen?«, fragte sie, während sie ins Wohnzimmer gingen, einen gemütlichen Raum mit Schriftstellerporträts an den Wänden und einem großen Gummibaum.
Leo schüttelte den Kopf. »Ich muss mit dir sprechen.« Er hielt inne. »Du bist gestern sehr plötzlich gegangen.«
Sie nickte, sagte aber nichts.
Leo schaute ihr in die Augen. »Wenn ich etwas falsch gemacht habe, muss ich es wissen. Sag es mir, bitte.«
Clara schluckte. »Es … es hatte gar nichts mit dir zu tun. Ich meine, natürlich hatte es das, aber du hast nichts falsch gemacht.«
Auf einmal überkam ihn ein ungutes Gefühl, das er nicht benennen konnte. »Was ist los, Clara?«
Sie blickte zu Boden. »Als du … als du auf einmal von Heirat gesprochen hast, da wurde mir klar, dass ich gar nicht so recht weiß, wie ich mir die Zukunft vorstelle.«
Seine Kehle war wie zugeschnürt. Er hatte befürchtet, nicht romantisch genug gewesen zu sein, aber dass Clara eine Heirat grundsätzlich ablehnen könnte –
»Versteh mich nicht falsch, ich liebe dich sehr«, sagte sie rasch und legte ihm die Hand auf den Arm. Leo rührte sich nicht.
»Wenn es wegen Ilse ist …«
»Nein. Lass mich versuchen, es dir zu erklären, auch wenn es mir schwerfällt. Ich habe Angst, dir wehzutun.« Sie holte tief Luft. »Ich lebe seit Jahren allein und habe mir etwas Eigenes aufgebaut. Es ist nichts Großes, aber die Bücherei bedeutet mir sehr viel.«
»Das weiß ich doch.«
»Ich kann sie nicht aufgeben.« Der Satz war so schnell heraus, als drängte er seit langem an die Oberfläche.
Leo schwieg. Auch er hatte kein detailliertes Bild, wenn er an die Zukunft dachte, vor allem, weil er nach wie vor nicht wusste, was aus seiner Schwester werden sollte. Eins aber war für ihn gewiss gewesen: dass er und Clara eine gemeinsame Zukunft haben würden.
»Du weißt, es war eine schwere Zeit mit Ulrich. Als wir uns getrennt haben, war ich ein Nichts, ohne jedes Selbstvertrauen. Meine eigene Familie wollte nichts mit mir zu tun haben, ich war ganz allein. Damals habe ich mir vorgenommen, mich nie wieder einem Mann völlig auszuliefern.«
»Ich bin nicht Ulrich!«, warf Leo ungehalten ein. »Das solltest du inzwischen gemerkt haben.«
Tränen schimmerten in Claras Augen, doch sie beherrschte sich. »Bitte lass mich ausreden. Ich möchte nie wieder ganz und gar von jemandem abhängig sein, auch wenn ich ihn noch so gern habe. Das heißt nicht, dass ich dich nicht liebe. Aber ich darf mich selbst nicht verlieren.«
»Das musst du auch nicht. Du kannst deine Bücherei doch behalten.«
Sie hob beschwörend die Hand. »So einfach ist es nicht. Wenn wir heiraten, ist Ilse nicht mehr da. Jemand muss den Haushalt besorgen und sich um die Kinder kümmern. Du arbeitest tagsüber und ich auch. Solange aber Ilse da ist, kann ich nicht bei euch leben. Manchmal kommt es mir vor, als hätte man uns eine unlösbare Rechenaufgabe gestellt. Was immer wir versuchen, nie steht auf beiden Seiten das gleiche Ergebnis. Einer muss verzichten. Und das will ich nicht.«
Leo schwieg. Das alles traf ihn völlig unerwartet. Er musste in Ruhe nachdenken, sonst würde er etwas sagen, was er später vielleicht bereute.
Clara drückte seinen Arm. »Es tut mir leid, ich wollte dich nicht verletzen. Aber wir sind nun mal nicht mehr auf Hiddensee. Wenn wir im Alltag glücklich sein wollen, müssen wir zumindest ungefähr wissen, wie dieses Glück aussehen soll, wie die Bedingungen dafür sein werden.«
Er konnte ihr nicht ins Gesicht sehen. »Ich muss jetzt allein sein, Clara. Über alles nachdenken. Das … ich hatte nicht damit gerechnet.«
»Darf ich dich trotzdem küssen?«
Er
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