Die Tote von Charlottenburg: Kriminalroman (German Edition)
aufgefallen war. Er nahm sie und schüttelte sie vorsichtig. Sie war leer. Oben waren kleine Öffnungen zu sehen. Leo roch daran. Rosen.
Jetzt öffnete sich die Tür, und Robert Walther kam herein, der das Wohnzimmer übernommen hatte. Er hielt ihm einen Briefumschlag an einer Ecke entgegen. »Ich habe etwas gefunden, Leo.«
Der Umschlag war nicht adressiert und enthielt nur ein einzelnes Blatt, auf dem wenige Zeilen geschrieben waren. Ein Datum gab es nicht.
Ich muss dich sehen. Warum hast du nicht angerufen?
Habe ich dich irgendwie gekränkt? Dann verzeih mir, bitte. Dein Schweigen kann ich nicht ertragen.
»Eine Männerhandschrift, würde ich sagen. In großer Eile oder Aufgewühltheit geschrieben.«
»Der Umschlag ist aus einem Buch gefallen, das auf dem Sofa lag. Es sah aus, als hätte sie zuletzt darin gelesen«, sagte Walther und schaute Leo erwartungsvoll an.
»Es kann nicht schaden, das Papier auf Fingerabdrücke zu untersuchen. Außerdem zeigen wir den Brief der Familie. Vielleicht gibt es einen Geliebten, von dem wir noch nichts wissen.«
Walther schob den Brief behutsam zurück in den Umschlag. »Hast du schon etwas gefunden?«
Leo hielt ihm die Flasche hin. »Riech mal.«
»Rosen. Meinst du, der Geruch kommt daher?«
»Nicht nur, aber auch. Wir nehmen die Flasche mit und lassen den Inhalt untersuchen.«
Als Walther gegangen war, öffnete Leo den Kleiderschrank. Auch hier überwog gute, dezente Qualität. Hinter einem Mantel lugte etwas Buntes hervor. Es war ein prachtvoller indischer Sari aus glänzender Seide. Er schaute wieder zu der Flasche mit dem Rosenduft. Diese exotischen Mitbringsel, zarte Pinselstriche auf dem Bild der tüchtigen, emanzipierten Ärztin, brachten ihn ins Grübeln.
Im Büro der Mordkommission stapelten sich die Unterlagen, die sie aus der Wohnung der Toten mitgenommen hatten. Fräulein Meinelt hatte eine detaillierte Liste erstellt, damit sie den Überblick behielten. Leo studierte Dr. Lehnbachs ausführlichen Obduktionsbericht, der soeben eingetroffen war.
»Er bestätigt, was er uns schon gesagt hat«, erklärte Leo den Kollegen. »Einige Symptome sind untypisch für eine Lungenentzündung. Außerdem stellte er eine Hämolyse fest, einen krankhaften Abbau der roten Blutkörperchen, der verschiedene Gründe haben kann. Er kann durch eine Infektion wie eine Lungenentzündung hervorgerufen werden, doch fandensich im Körper keine entsprechenden Erreger. Er kann aber auch auf eine Vergiftung hinweisen. Insgesamt hält Dr. Lehnbach die Anzeichen einer Vergiftung für ausreichend, um Ermittlungen zu rechtfertigen. Allerdings hat er keine Vorschläge, um welche Substanz es sich handeln könnte, und verweist uns an das Pharmakologische Institut der Charité. Daher wird die Leiche auch noch nicht freigegeben.«
»Gesichert ist das alles nicht«, sagte Robert Walther zweifelnd. »Hoffentlich machen wir uns nicht die ganze Mühe umsonst, und am Ende stellt sich heraus, dass sie sich im Krankenhaus eine seltene Infektion eingefangen hat.«
Leo sah ihn an. »Leider liegt nicht jedes Mordopfer mit einem Messer im Rücken da oder hängt am Fensterkreuz. Lieber ermittle ich und stelle letztlich fest, dass es ein natürlicher Tod war, als wenn ein Mord ungesühnt bleibt.«
Walther senkte den Blick. »Du hast ja recht.«
Jakob Sonnenschein blätterte in einem Aktenordner. »Hier sind einige Unterlagen aus der Beratungsstelle. Da sind wir noch nicht gewesen.«
Leo nickte. »Richtig. Können Sie das übernehmen, Sonnenschein?«
Er bemerkte, dass Robert Walther ihm einen seltsamen Blick zuwarf. Seit der neue Kollege da war, erschien Robert manchmal sehr kurz angebunden. Nahm er Leo immer noch das Urlaubsverbot übel?
»Walther, du fährst bitte in die Dorotheenstraße und sprichst mit den Toxikologen. Nimm Lehnbachs Bericht mit. Sie können gern eine Abschrift anfertigen. Ich will eine Liste aller Gifte haben, die derartige Symptome verursachen können.«
Walther nickte. Er war sichtlich froh, aus dem Büro herauszukommen, und steckte außer dem Bericht noch rasch den Sportteil der Zeitung in die Aktentasche.
Als Walther gegangen war, fragte Sonnenschein: »Jetzt gleich, Herr Kommissar? Die Beratungsstelle, meine ich.«
Leo sah auf die Uhr. »Stehen die Öffnungszeiten irgendwo in den Unterlagen?«
Sonnenschein blätterte. »Ja, hier. Montags, dienstags und donnerstags von achtzehn bis zwanzig Uhr. Das passt.«
»Vermutlich öffnen sie so spät, damit die
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