Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Die Tote von Harvard

Die Tote von Harvard

Titel: Die Tote von Harvard Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amanda Cross
Vom Netzwerk:
sie sich so von Jocasta angesprochen fühlte, aber noch mehr irritierte sie, daß sie die männliche Institutionen hassende Joan Theresa sympathisch fand.
    »Schwestern!« schnaubte Kate. Dann ging sie zum Fenster. Unten raste Joan Theresa mit langen Schritten die Straße hinunter und Jocasta, die Ohren angelegt, mit Volldampf hinterher.
    19

Zwei
    Du hast solche Angst, dein moralisches Empfinden zu verlieren, daß du höchstens riskierst, es durch eine Schlammpfütze zu ziehen.

    Gertrude Stein

    »Natürlich«, fuhr Mark Evergreen fort, als der Kellner ihre Was-sergläser gefüllt hatte und sie ihrem Lunch im Fakultäts-Club über-ließ, »ist er vom anderen Ufer.«
    »Ja, ja – das andere Ufer – das Unbekannte, das Neugier weckt, mit Sehnsucht erfüllt, die Menschen zum Aufbruch treibt.«
    »O je«, sagte Mark, »ich hätte es nicht so platt heraussagen sollen. Du ärgerst dich.«
    »Nur wegen des Wortes. Ich trauere um Worte. Das fremde, das andere Ufer, das war einmal ein wunderschönes poetisches Bild. Wie soll man diesen Ausdruck heute noch gebrauchen? Er würde jene Art Gekicher hervorrufen, das ich als Kind immer erntete, wenn ich ganz unschuldig von Elfen sprach und nicht ahnte, daß das Wort eine doppelte Bedeutung hat. Wenn es wirklich so weit kommt, daß das andere Ufer nur noch Homosexualität für uns bedeutet, werden die Elfen vielleicht wieder sein können, was sie einmal waren und im Dickicht der Wälder in Sicherheit leben.«
    »Gegen Homosexuelle als solche hast du nichts?«
    »›Als solche‹! Wirklich, Mark – welche Ausdrucksweise! Aber mein Sprachempfinden einmal beiseite – ich bin froh um die Verän-derungen in den siebziger Jahren. Die meisten Dekaden unseres Jahrhunderts waren fürchterlich – die Dreißiger, die Fünfziger, die Siebziger. Sie waren geprägt von Depression, Hexenjagd und der Verlogenheit derer, die Macht und Einfluß hatten. In den Siebzigern passierten immerhin einige erfreuliche Dinge, und dazu gehört, daß man Homosexuellen endlich mit mehr Offenheit und Verständnis begegnete. Ein bezaubernder Freund von mir – wie von einem anderen Ufer im vollen schönen Sinn dieses Ausdrucks, denn er ist wirklich ein ganz außergewöhnlicher Mensch – vertraute mir an, er sei aus seinem Kämmerchen hervorgekommen und zeige sich jetzt im Licht. Da hast du mal ein Bild, das keine unberechtigten Forderungen an unsere Sprache stellt – ja wirklich, etymologisch gesehen, ist es völlig korrekt und leuchtet außerdem jedermann ein. – Nun, bemerkenswert ist, daß mein Freund vorher genauso nett, unterhaltsam, 20

    vertrauenswürdig und informiert war wie jetzt. Für mich hat er sich dadurch nicht verändert – außer, daß er jetzt den schönen Ausdruck vom anderen Ufer so einseitig mit Beschlag belegt.«
    »Kate, stimmt irgend etwas nicht? Ich weiß, daß du zu Vorträgen aus dem Stegreif neigst, aber heute kommst du mir noch sprunghaf-ter vor als sonst. Was soll ich dir noch von Clarkville erzählen? Du kennst bestimmt seine Veröffentlichungen so gut wie ich.«
    »Gewiß, aber du kennst ihn besser, und ich frage mich…«
    »Du hast von diesem Janet-Mandelbaum-in-der-Bade-wanne-Trara gehört. Ich hätte es mir denken können.«
    »Um genau zu sein: Ich habe nicht davon gehört; man hat es mir erzählt. Und da du Clarkville so gut kennst: weißt du, was genau passiert ist?«
    »Erst hat sie sich betrunken und dann fast ertränkt. Clarkville vermutet, daß der Druck für sie zu groß gewesen sei. Na, wenn du mich fragst, die erste Frau mit einem Lehrstuhl bei den Anglisten in Harvard zu sein, hätte selbst Aphrodite überfordert, von Janet Mandelbaum ganz zu schweigen. Offenbar war sie betrunken, beschloß, ein Bad zu nehmen, um einen klaren Kopf zu bekommen, und fiel dabei in Ohnmacht.«
    »Weißt du, ob sonst jemand mit der Sache zu tun hatte?«
    »Ja, irgendeine Frau aus dem Ort. Kam wohl Janet zu Hilfe. Warum, weiß niemand. Janet bestreitet hartnäckig, sie zu kennen. Und die andere Frau behauptet so leidenschaftlich, noch nie mit Janet zu tun gehabt zu haben, daß es fast schon beleidigend für Janet ist. Beschäftigt dich die Sache etwa?«
    »Mark, erinnerst du dich an Janet Mandelbaum?«
    »Wie sollte ich nicht! Schönheit und Verstand. Und dabei so konventionell und phantasielos wie John Livingston Lowes, der jedes Wort gezählt hat, das Coleridge in seinem Leben gelesen hat.«
    »Auch aus Harvard.«
    »Natürlich. Du wirst dich erinnern, wie verbissen Janet ihren

Weitere Kostenlose Bücher