Die Tote von Harvard
hoffnungslos überlaufen.«
»Dann ist auch noch Platz für eine weitere Frau – wenn sie von den richtigen Leuten empfohlen wird. Es stimmt natürlich, daß sie nicht annähernd so viele Lehraufträge vergeben können, wie sie möchten. Aber wenn du kommst – für die Ehre und nicht fürs Geld, wie die Engländer sagen –, dann gibt man dir ein Büro, einen Brief-kasten, den Status einer Lehrbeauftragten und verlangt nichts weiter von dir, als daß du eine Vorlesung über ein Thema deiner Wahl hältst. Nun, was sagst du? Das Institut wird dir gefallen. In einem Haus auf dem Campus zu wohnen, wird ein bißchen lästig sein.
Wahrscheinlich mußt du schwören, an jedem Lunch der Dozenten teilzunehmen. Dem gehen einige Sherry-Runden voraus, und geistige Verstopfung ist die Folge. Aber all das tust du für die Frauen.«
»Sylvia, was um Himmels willen tue ich für die Frauen?«
»Janet helfen, was sonst? Und damit allen Frauen, die in Harvard lehren. Janet ist hereingelegt worden, das ist doch klar.«
»Hereingelegt?«
»Du hast richtig verstanden. Wenn du es nicht glaubst, überzeug dich selbst. Unter uns, meine Liebe, wenn das Patriarchat sich be-drängt fühlt, dann schreitet es zur Tat, mit Geld und allem, was mit 25
Geld zu kaufen ist. Hast du gewußt, daß die Mormonen in einem Jahr fünfzehn Millionen Dollar ausgegeben haben, um die Gleichbe-rechtigungsgesetze zu bekämpfen?«
»Sylvia! Du redest ja schon wie eine dieser schrecklichen Emanzen!« sagte Kate mit gespieltem Entsetzen.
»Na, aber klar. Ich verschlinge Büstenhalter. Mein Lieblingsmo-dell ist Größe 90 C, rosa, kurz angebraten. Und ich werde auf der Stelle einen essen, wenn der Kellner nicht bald kommt.«
Wie um dies abzuwenden, erschien, ganz beflissene Aufmerksamkeit, der Kellner am Tisch. Während des Essens hüpfte das Gespräch von einem Thema zum anderen.
Erst beim Irish Coffee – zu dem Sylvia Kate, allerdings ohne große Mühe, überredet hatte – kam Kate noch einmal auf ihren Besuch in Harvard zurück.
»Sylvia, vielleicht gehe ich nach Harvard, vielleicht auch nicht, aber ich werde Janet Mandelbaum noch nicht einmal eine Postkarte schicken, wenn du mir nicht erklärst, warum du meinst, sie sei hereingelegt worden. Und warum zum Teufel ist das alles so wichtig?«
»Wieviel weißt du über diesen neuen Lehrstuhl in Harvard?«
»Nicht viel, gar nichts, um genau zu sein.«
»Es ist nicht das erste Mal, daß eine Frau mit solchen Ehren bedacht wurde. Vor über dreißig Jahren, 1948, wurde der Zemurray-Stone-Lehrstuhl in Harvard errichtet. Bisher haben sich drei Frauen auf ihm abgelöst. Der Lehrstuhl war offenbar ein Erfolg, soweit man das von einem Lehrstuhl überhaupt behaupten kann, hat aber die Sache der Frauen in Harvard auch nicht weiter befördert. Die erste Frau, die ihn innehatte, war eine Schottin. Kein Wunder, daß Harvard es nicht fertigbrachte, eine qualifizierte Amerikanerin zu finden.
Wenn man ihnen schon eine Frau aufbürdete, dann lieber eine Ausländerin als eine aus den eigenen Reihen. Diese Frau, sie hieß Helen Cam und war Historikerin, muß ein wahres Prachtstück gewesen sein. In dem Berufungskomitee, das sie auswählte, saß übrigens eine Frau, im Gegensatz zu dem Komitee, das die arme Janet an Land zog. Helen Cam war nicht nur eine hervorragende Gelehrte und ihren Studenten sehr zugetan, sie muß auch sonst ein guter Mensch gewesen sein: denn bald erhielt sie die Erlaubnis, am Harvardschen Mor-gengebet teilzunehmen, und wurde damit zur ersten Frau, der man das seit der Einführung des Gebets 1638 gestattet hat.«
»War sie die erste Professorin in Harvard?«
»Nein. Aber die Frauen, die in Harvard lehrten, wurden immer 26
als Lektorinnen bezeichnet, auch wenn sie mehr wußten als alle Männer weit und breit. Dr. Alice Hamilton bekam allerdings von der medizinischen Fakultät den Titel ›Assistenzprofessorin‹ verliehen.
Man hatte wohl keine andere Wahl, da sie das Feld der Arbeitsmedi-zin entdeckt hatte. Jedenfalls war sie die unumstrittene Kapazität auf ihrem Gebiet, und sogar Harvard mußte das anerkennen. Aber jedes Jahr, wenn sie die Einladung zu den Abschlußfeierlichkeiten bekam, stand der handgeschriebene Zusatz darauf: ›Damen ist es nicht erlaubt, an der Prozession teilzunehmen‹. Und sie wird wohl auch auf die Freikarten für die Footballspiele verzichtet haben, die jedem Fakultätsmitglied zustehen. Alice Hamilton wurde übrigens fünf-undneunzig und hat öffentlich gegen den
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