Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
kennenlernen, dann wirst du feststellen, was für ein wunderbarer Mensch er ist.“
Mabel verzichtete auf eine Antwort. Auf jeden Fall würde sie den Sommer über in Cornwall bleiben und ein Auge auf Abigail haben. Und da war natürlich noch die Sache mit Sarah Miller …
Mabel glaubte zuerst an eine Halluzination, als sie Michael Hampton und Jennifer Crown erkannte, die über den Küstenweg direkt auf sie zukamen. Sie blinzelte, es war aber kein Trugbild. Die beiden attraktiven jungen Menschen hieltensich an den Händen und schienen in eine lebhafte Diskussion vertieft zu sein. Bisher hatten sie Mabel nicht gesehen. Instinktiv riss Mabel den Hut von Abigails Kopf, ignorierte deren Protest und stülpte sich den Hut mit der ausladenden Krempe über, dann kramte sie hektisch nach der Sonnenbrille in ihrer Handtasche.
„Was ist plötzlich in dich gefahren?“, fragte Abigail perplex. „Spielen wir jetzt Verkleiden?“
„Sei still“, zischte Mabel, beugte sich über den Tisch und tat, als wäre sie intensiv mit den Knochen eines Hähnchenschenkels beschäftigt. „Ich bitte dich, halt einfach den Mund, ja?“
Entsetzt über Mabels rüden Ton schnappte Abigail nach Luft, verzichtete jedoch auf eine Erwiderung. Michael und Jennifer kamen näher, das Mädchen kicherte, und Mabel konnte hören, wie sie sagte: „Du hättest Eric mal sehen sollen, wie er winselnd vor mir im Staub gekrochen ist, damit ich die Rolle spiele.“ Jennifers Tonfall war mehr als gehässig. „Ich hatte große Lust, ihn noch länger zappeln zu lassen, aber schließlich muss ich die Szenen einstudieren, und es ist nicht mehr viel Zeit.“
„Dass Sarah einfach von einem Tag auf den anderen abgehauen ist, ist ein wahrer Glücksfall für dich, nicht wahr?“ Michael sah das Mädchen von der Seite an. „Ich hielt sie ja noch nie für eine bessere Schauspielerin als dich …“
„Aber ihre Titten fandest du nicht schlecht?“, gab Jennifer schnippisch zurück. „Du hast nichts unversucht zu lassen, um sie ins Bett zu kriegen, und warst stinksauer, als sie dich abblitzen ließ.“
Michael legte einen Arm um Jennifers Schultern.
„Ach, das war doch nur Spaß. Ich möchte doch nur mit dir zusammen sein.“ Er sprach mit einem schmeichelndenTonfall, der Mabel falsch vorkam, doch Jennifer ließ es zu, dass Michael sie küsste. Als sie sich voneinander lösten, fuhr er fort: „Vielleicht habe ich Sarah mit meinen Nachstellungen nur genervt, damit sie Lower Barton verlässt und du die Rolle wiederbekommst. Du weißt, ich würde alles für dich tun.“
„Ach ja?“, fragte Jennifer. „Du willst mir doch nicht weismachen wollen, Sarah ist auf dein Bestreben hin abgehauen?“
Sie lachte laut, die beiden entfernten sich, und Mabel konnte ihre nächsten Worte nicht mehr verstehen. Ihre Nerven vibrierten. Rachel hatte ihr erzählt, dass Michael und Jennifer ein Paar gewesen waren – als Sarah gekommen war, hatte er sie abserviert, zudem hatte Jennifer ihre Rolle an Sarah verloren. Sarah wollte ihrerseits von Michael nichts wissen, und Jennifer war zu Recht sauer auf den jungen Mann. Wenn Michael also dafür sorgte, dass Sarah Lower Barton verließ, schlug er zwei Fliegen mit einer Klappe: Jennifer hatte die Rolle wieder, und sein männliches Ego war wieder hergestellt. Mabel vermutete, ein Mann wie Michael war es nicht gewohnt, von Frauen verschmäht zu werden, folglich hatte er – aus seiner Sicht – allen Grund, auf Sarah wütend zu sein. Jennifer selbst durfte sie aber auch nicht außer Acht lassen. Immerhin hatte Mabel miterlebt, wie sauer das Mädchen gewesen war, als Eric Cardell ihr die Rolle wegnahm und Sarah gab. Jennifer schien sehr ehrgeizig zu sein und daran gewöhnt, zu bekommen was sie wollte. Sie profitierte am meisten von Sarahs Tod.
„Aber bringt man deswegen jemanden um?“
„Was sagst du?“, fragte Abigail, denn Mabel hatte nicht bemerkt, dass sie laut gedacht hatte. „Was soll das hier werden?Kann ich meinen Hut wiederhaben? Also wirklich, Mabel, manchmal verhältst du dich ein wenig seltsam.“
Mabel war in Gedanken weit weg und betrachtete aus den Augenwinkeln Jennifers schmale und zarte Hände. Sarah Miller war mit brutaler Gewalt erdrosselt worden, und Jennifer sah nicht so aus, als hätte sie eine solch große Kraft, zumal Sarah sich sicher gewehrt hatte. Mabel schüttelte unwillkürlich den Kopf. Sie sah Michael und Jennifer nach, die auf der anderen Seite der Bucht den steilen Küstenpfad hinaufstiegen und
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