Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
noch den kleinsten Beweis, Denzil Wilmington könnte irgendjemanden getötet haben. Ich kenne Wilmington, er ist ein Rüpel, besonders wenn er zu viel getrunken hat, aber einen Mord …“ Warden stockte, dann verzog er lächelnd die Lippen. Er setzte sich wieder und zog die Tastatur seines Computers näher zu sich. „Wann, behaupten Sie, soll dieser angebliche Mord auf Higher Barton geschehen sein?“
„Samstag vor einer Woche“, antwortete Mabel und nannte das Datum.
Warden tippte einige Daten in den Rechner, dann wurde aus seinem Lächeln ein befreiendes, lautes Lachen.
„Na also, Miss Clarence, da haben wir es. Selbst wenn, ich sage ausdrücklich
wenn
es diesen Mord gegeben haben sollte – Wilmington kann nichts damit zu tun haben.“
„Warum?“, fragte Mabel atemlos.
„Nun, in dieser Nacht saß er hier in diesem Gebäude in einer Zelle. Laut Aktenlage geriet er gegen zehn Uhr am Abend in eine Schlägerei im Pub, die er offenbar angezettelt hatte. Daraufhin wurde er in Gewahrsam genommen und zur Ausnüchterung ins Präsidium gebracht, das er erst am späten Sonntagvormittag wieder verließ. Sie sehen also, meine Liebe, Denzil Wilmington scheidet als Täter aus, er hat das beste Alibi der Welt.“
Mabel schluckte trocken. Wenn es stimmte, was der Inspektor berichtete – und es gab keinen Grund, seinen Ausführungen nicht zu glauben –, dann konnte Wilmington Sarah Miller tatsächlich nicht umgebracht haben. Der Körper des Mädchens war noch nicht steif gewesen, als Mabel ihn gefunden hatte. Folglich musste der Mord zwischen zwei und fünf Uhr in der Früh begangen worden sein, undin dieser Zeit schlief Wilmington seinen Rausch in einer Zelle aus.
„Vielleicht hat er jemanden beauftragt.“ Mabel wusste, wie schwach diese Vermutung klang, und Warden schüttelte auch sogleich den Kopf.
„Dazu hat Wilmington gar nicht den Grips und noch weniger das Geld. Der Mann kann sich und seine Familie kaum über Wasser halten, wie sollte er da einen Mörder anheuern?“ Warden stand auf und machte einen Schritt zur Tür. „Wenn Sie mich jetzt entschuldigen, Miss Clarence, die Arbeit wartet.“ Er öffnete die Tür und gab Mabel das untrügliche Zeichen, dass er das Gespräch für beendet hielt. „Wegen der Schüsse werden Sie von uns hören. Sie halten sich nach wie vor bei Lady Tremaine auf Higher Barton auf?“
Mabel nickte. Ihr blieb nichts anderes übrig, als ihre Handtasche zu nehmen und den Raum zu verlassen. Im Korridor drehte sie sich noch einmal um und sah Warden fest in die Augen.
„Sie machen einen Fehler, Inspektor, einen großen Fehler.“
Er schloss die Tür, ohne auf ihre Bemerkung einzugehen, und Mabel presste sie Lippen zusammen. Nun gut, wenn die Polizei nichts unternehmen wollte – sie würde nicht lockerlassen, bis sie den Mörder von Sarah Miller gestellt hatte. Rachels Vater schied offenbar aus, trotzdem war Mabel überzeugt, dass er alles andere als begeistert gewesen sein musste, zu hören, dass seine Tochter nicht nur Frauen liebte, sondern auch plante, ihn und ihre Geschwister zu verlassen. Was jedoch, wenn Wilmington wirklich nichts von Rachels Beziehung zu Sarah gewusst hatte?
„Oje, oje!“ Mabel seufzte laut, denn in diesem Fall hätte sie Rachels Geheimnis verraten und das Mädchen damit inernsthafte Schwierigkeiten gebracht. Sicher würde er nicht lockerlassen, bis er die Wahrheit aus Rachel herausbekam, und Mabel zweifelte nicht daran, dass er dafür auch seine Fäuste einsetzen würde. Sie musste unbedingt mit Rachel sprechen, ihr Mut ging aber nicht so weit, sie erneut zu Hause aufzusuchen. Mabel wusste, wenn ihr unüberlegtes Verhalten Rachel in Gefahr brachte und dem Mädchen etwas geschah, würde sie sich das niemals verzeihen können. Sie konnte nur hoffen, Rachel würde zur nächsten Probe kommen, dann wollte sie sich bei ihr entschuldigen und versuchen, sie zu überzeugen, dass ihre Gefühle nicht falsch waren – gleichgültig, was andere Menschen, ganz besonders Denzil Wilmington, davon hielten.
„Mabel Clarence, das nächste Mal denkst du erst nach, bevor du handelst“, sagte sie laut, was ihr den erstaunten Blick eines vorbeilaufenden Passanten einbrachte.
Am liebsten wäre Mabel direkt zu Victor Daniels gefahren, etwas in ihr hielt sie jedoch noch immer zurück, diesem Wunsch nachzugeben. Sie konnte dem Tierarzt nicht mehr vertrauen. Nicht, seit seiner Leugnung, Michael Hampton zu kennen, und erst recht nicht, seit Michael diesen Unfall erlitten
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