Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
er sie dort küssen. Diese Geste hatte etwas sehr Vertrautes, eigentlich schon Intimes. Als der Chauffeur Mabel bemerkte, zog er rasch seine Hand weg und trat einen Schritt zurück.
„Haben Sie sonst noch Wünsche, Mylady?“, fragte er betont geschäftsmäßig.
Über Abigails Wangen zog eine leichte Röte.
„Miss Clarence weiß Bescheid.“ Abigail wich Mabels Blick aus. „Vor ihr brauchen wir uns nicht länger zu verstellen.“
Justin Parker drehte sich zu Mabel um. Seine blauen Augen bohrten sich in die Mabels, doch weder sein Blick noch seine Haltung zeigten eine Spur von Verlegenheit. Im Gegenteil, auf Mabel wirkte er regelrecht herausfordernd. Ganz so, als wolle er sagen: „Wage es bloß nicht, dich in meine Angelegenheiten zu mischen.“
Abigail winkte Mabel näher zu sich heran.
„Ich habe dich heute Nachmittag nicht erwartet und darum andere Pläne gemacht.“ Sie tauschte einen flüchtigen Blick mit Parker. „Wir werden nach Tintagel fahren und dort ein wenig auf den Klippen spazieren gehen. Man muss das schöne Wetter ausnutzen, solange es anhält. Vielleicht möchtest du uns begleiten?“
Von Justin fing Mabel einen Seitenblick auf, der besagte, dass er auf ihre Begleitung keinesfalls erpicht war. Da Mabel selbst wenig Lust verspürte, den Nachmittag mit dem verliebten Paar zu verbringen, winkte sie ab.
„Ich wollte auf die Terrasse gehen und lesen.“ Sie sah Abigail an. „Du bist mir nicht böse, wenn ich dich nicht begleite?“
Für einen Moment flackerte in Abigails Augen Freude auf, die im Gegensatz zu ihren Worten stand.
„Es wäre schön gewesen, dich dabeizuhaben, wir können aber ein anderes Mal wieder einen Ausflug machen.“ Zu Parker gewandt fuhr sie fort: „Fahre bitte den Wagen in dreißig Minuten vor.“
Der Chauffeur deutete einen Diener an.
„Sehr wohl, Mylady“, sagte er und verließ die Bibliothek.
Mabel schmunzelte über sein und Abigails geschäftsmäßiges Verhalten. Obwohl beide wussten, dass sie, Mabel, über ihr Verhältnis informiert war, bemühten sie sich, den Schein eines reinen Dienstverhältnisses zu wahren.
„Übrigens, Doktor Daniels hat angerufen und wollte dich sprechen“, sagte Abigail.
„Victor?“ Unmerklich zuckte Mabel zusammen.
Abigail runzelte die Stirn.
„Ach, ihr nennt euch schon beim Vornamen? Ich hoffe doch sehr, du hast keinen Gefallen an dem alten Kauz gefunden,wobei ich dir eine kleine Liebelei durchaus gönnen würde. Liebe hält nämlich jung, suche dir aber jemand jüngeren als ausgerechnet diesen kauzigen Tierarzt.“ Abigail kicherte wie ein Schulmädchen, und Mabels Wangen wurden heiß.
„Victor und ich sind lediglich …“ Gute Freunde, wollte sie sagen, aber waren sie das wirklich? Gestern noch hatte Mabel gehofft, zwischen ihr und Victor entwickle sich eine Freundschaft, doch die jüngsten Ereignisse stellten plötzlich alles in Frage.
Abigail zuckte mit den Schultern. „Du musst wissen, was du tust, ich möchte dich nur warnen. Daniels mag ein hervorragender Tierarzt sein, als Mann könnte ich ihn aber keinen Tag an meiner Seite ertragen.“ Sie stand auf und ging zur Tür. Beim Hinausgehen sagte sie noch: „Was meinst du, ist es warm genug, auf einen Mantel zu verzichten?“
Es war eine rein rhetorische Frage gewesen, denn Abigail war gegangen, bevor Mabel eine Antwort geben konnte.
Aus einem der deckenhohen Regale zog Mabel wahllos ein Buch heraus. Auf einmal verspürte sie keine Lust mehr zu lesen. Was hatte Victor von ihr gewollt? Nun, sie würde es herausfinden, indem sie ihn zurückrief. Sie benutzte dafür das Telefon der Bibliothek, denn ihr fiel ein, wie Wilmington ihr das Handy aus der Hand geschlagen hatte. Es lag wahrscheinlich immer noch in seiner Küche. Mabel konnte nur hoffen, Rachel würde es ihr bei der nächsten Probe bringen, denn sie hatte nicht vor, jemals wieder auch nur einen Fuß in Wilmingtons Haus zu setzen.
Nach einmaligem Klingeln hob der Tierarzt ab, ganz so, als hätte er direkt neben dem Telefon gewartet.
„Oh, Mabel, wie schön, dass Sie zurückrufen“, sagte er, nachdem sie sich gemeldet hatte.
„Meine Cousine sagte, Sie wollten mich sprechen?“ Mabels Stimme klang kühl, was Victor nicht zu bemerken schien, denn er kam gleich zur Sache.
„Ich hörte, Denzil Wilmington hat auf Sie geschossen.“ Mabel bemerkte einen besorgten Unterton in seiner Stimme. „Ihnen ist hoffentlich nichts passiert?“
„Mir geht es gut, danke.
„Was wollten Sie eigentlich bei
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