Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
keinen Skandal mehr dar. Wenn die Sache ans Licht käme, würde es zwarGerede geben, dies würde aber ebenso schnell wieder verebben. Außerdem, wieso sollte Sarah in Bristol etwas über Abigails Liebesleben erfahren haben und noch dazu denken, sie würde reich, wenn sie Lady Tremaine damit erpresste? Es ergab alles keinen Sinn. Und überhaupt – Abigail würde niemanden umbringen! Mabel weigerte sich, diese Überlegung noch eine Sekunde länger in Betracht zu ziehen.
Sie trank ihren Cognac aus, an dem sie bisher nur genippt hatte.
„Rachel, mach dir keine Sorgen um deinen Vater, ich bin sicher, er wird mit einer Verwarnung oder einer Bewährungsstrafe davonkommen, schließlich ist ja niemandem etwas passiert.“
Das Mädchen seufzte erleichtert.
„Vielleicht ist ihm die Untersuchungshaft ja eine Lehre, und das Gewehr musste er auch abgeben, denn er hat keinen Waffenschein.“
„Wenn Sarah zurückkäme…“ Mabel suchte nach den richtigen Worten, es tat ihr weh, falsche Hoffnungen in Rachel zu wecken, „also, würdest du dann immer noch mit ihr nach London gehen?“
Rachel zögerte mit der Antwort, schließlich sagte sie leise: „Ich weiß es nicht. Sie hat mich sehr verletzt, als sie einfach wegging, ohne mir zu sagen, wohin und was sie vorhat, und dass sie nicht ans Telefon geht oder auf meinen Brief antwortet. Dennoch …“
„… liebst du sie“, vollendete Mabel den Satz, und Rachel nickte.
„Ich weiß nicht, was mit mir los ist. Aus Jungs habe ich mir nie viel gemacht. Als mich zum ersten Mal einer küsste,fand ich das eklig. Und so richtig wollte auch nie einer mit mir zusammen sein.“ Sie lächelte traurig. „Du brauchst mich nur anzusehen, dann weißt du warum. Außerdem will ohnehin niemand mit einem Mädchen gehen, das seine Mutter auf dem Gewissen und einen Alkoholiker zum Vater hat. Als Sarah dann kam … plötzlich war alles anders. Die Sonne schien viel strahlender, der Himmel war blauer, und selbst wenn es regnete, fand ich den Tag wunderschön.“
„Das ist Liebe“, stellte Mabel fest, und tiefes Mitleid durchflutete sie, denn Rachels Augen leuchteten in einem Glanz, den Mabel bei ihr nie zuvor gesehen hatte. Fast wünschte Mabel, in der Bibliothek einem Trugbild erlegen zu sein, dass Sarah Miller noch am Leben war, und alle, die sie für verrückt hielten, recht hätten. Leider war die Realität jedoch eine andere, aber Mabel brachte es nicht übers Herz, Rachel die Wahrheit zu sagen.
18
„Mr Trengove ist in einer Besprechung.“ Die Sekretärin hob nicht einmal den Blick, sondern tippte weiter auf der Tastatur ihres Computers herum. „Sie können gerne einen Termin vereinbaren.“
„Hören Sie, es ist wirklich wichtig!“ Mabel lehnte sich gegen den Tresen, hinter dem sich die Vorzimmerdame des Anwalts verschanzte. „Ich bin extra aus Lower Barton gekommen, um mit Mr Trengove zu sprechen. Es dauert auch nur zwei, drei Minuten.“ Der Gesichtsausdruck der jungen Dame blieb unbeweglich, aber wenigstens sah sie Mabel jetzt an. „Bitte!“, fügte diese hinzu.
Die Sekretärin warf einen Blick auf ihre Uhr und seufzte. „Ich werde sehen, was sich machen lässt. Sie müssen allerdings warten, es kann dauern.“
„Danke.“ Mabel nahm in einer mit modernen beigen Sesseln gestalteten Sitzgruppe Platz. Auf dem Glastisch standen eine Flasche Mineralwasser und drei Gläser sowie einige Zeitschriften, die Mabel jedoch nur mit einem flüchtigen Blick streifte. Sie war zu nervös, um sich auf irgendwelche Klatschgeschichten aus der Welt der Reichen und Schönen zu konzentrieren, und Auto- und Börsenmagazine interessierten sie nicht im Geringsten.
Gleich nach dem Frühstück war sie nach Truro gefahren. Sie war zum ersten Mal in der nach Penzance zweitgrößten Stadt Cornwalls und Verwaltungszentrum der Grafschaft. Der Verkehr an diesem Montagmorgen war dicht und stockend gewesen, allein für die knapp fünfzehn Meilen zwischen St Austell und Truro hatte sie eine Stunde gebraucht, da sich Autos und Lastwagen Stoßstange an Stoßstange reihten. In Truro selbstwar sie dann mehrmals auf der Suche nach einem Parkplatz durch die Stadt gekurvt, bis sie schließlich in einem Parkhaus oberhalb der Fußgängerzone einen freien Platz fand. Mabel fragte den ersten Passanten, den sie traf, wo sie die Pydar Street fände, und der Herr deutete lächelnd auf die Fußgängerzone.
„Sie sind bereits in der betreffenden Straße, meine Dame.“
Mabel dankte und suchte nach dem Gebäude mit
Weitere Kostenlose Bücher