Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
etwas nicht in der Lage. Ich sagte bereits, ist er kein böser Mensch, manchmal tut er mir sogar leid. Ich hoffe, er wird nicht zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Wenn er wieder zu Hause ist, werde ich mich um ihn kümmern.“
Mabel seufzte, denn sie drang zu dem Mädchen nicht durch. Obwohl Wilmington seine Tochter nicht nur körperlich misshandelte – die seelische Misshandlung, ihr die Schuld am Tod der Mutter zu geben, wog in ihren Augen noch schwerer als Schläge –, hielt Rachel fest zu ihrem Vater.
„Du und Sarah …“, Mabel ließ das Mädchen nicht aus den Augen, „ihr wolltet doch fortgehen, nicht wahr?“
Rachel nickte und sagte leise: „Sarah wollte nach London und drängte mich, sie zu begleiten. Dauernd sprach sie davon und wie schön wir es uns dort machen würden. Sie wollte mir alles zeigen, denn ich war noch nie in London.“
„Wovon wolltet ihr leben?“, fragte Mabel.
„Sarah meinte immer, ich solle mir keine Sorgen machen. Sarah träumt davon, ein Star zu sein, die Schauspielerei ist ihr Leben. Obwohl ich sie bewundere und weiß, wie gut sie ist,ist mir klar, dass es Tausende von talentierten und hübschen Schauspielerinnen gibt. Darum habe ich sie immer wieder gefragt, womit wir Geld verdienen sollen, bis sie den Durchbruch schafft. Ich habe ja nichts gelernt, kann nicht einmal mit Computern umgehen, denn dafür war in unserem Haus nie Geld da. Ich könnte höchstens als Kellnerin irgendwo arbeiten, was aber nicht gerade gut bezahlt ist.“
„Was hatte Sarah vor?“ Mabel wartete gespannt auf Rachels Antwort, doch das Mädchen zuckte mit den Schultern.
„Sie wollte es mir nicht verraten. ›Noch nicht, meine Liebe‹, sagte sie. ›Lass dich überraschen! Bald werden wir in Geld schwimmen und uns alles kaufen können, was wir wollen‹.“ Bekümmert sah Rachel Mabel an. „Vielleicht war Sarah in ein krummes Geschäft verwickelt, irgendetwas Illegales?“
„Das könnte sein“, murmelte Mabel. „Vielleicht war sie aus diesem Grund nach Lower Barton gekommen? Hat sie nie erwähnt, warum sie Bristol verlassen hat?“
„Nein, Sarah sprach nicht über ihre Vergangenheit“, antwortete Rachel. „Wenn ich sie danach fragte, auch nach ihren Eltern und so, dann wurde sie richtig wütend und meinte, das ginge niemanden etwas an, selbst mich nicht. Sie lebte hier und jetzt, wollte mit der Vergangenheit nichts mehr zu tun haben. Da es furchtbar ist, mit Sarah zu streiten, habe ich dann nie wieder gefragt.“
In Mabels Kopf wirbelten die Gedanken durcheinander. Sarah Miller hoffte also auf eine größere Geldsumme, nach Rachels Aussage sogar auf sehr viel Geld. Da Sarah keiner geregelten Arbeit nachging, konnte es sich nur um etwas Kriminelles handeln. Vielleicht stand sie deshalb auch mit einem Anwalt in Kontakt? Lower Barton war, ebenso wie die ganze Umgebung, ein ruhiger, beschaulicher Ort. Hier gab es nichtszu holen. Oh, doch, dachte Mabel plötzlich. In Higher Barton gab es zahlreiche Wertgegenstände. War Sarah etwa ins Herrenhaus eingedrungen, um Abigail auszurauben? Warum aber in ihrem historischen Kostüm? Und, hatte man sie auf frischer Tat ertappt? Aber deshalb zu morden? Das Mädchen war nicht kräftig gewesen, jeder hätte sie festhalten und die Polizei rufen können.
„Was denkst du?“, fragte Rachel, der Mabels Versunkenheit nicht entgangen war.
„Ich überlege, was Sarah geplant haben könnte“, antwortete Mabel offen. „Du kanntest sie gut. Kannst du dir vorstellen, dass sie jemanden bestehlen wollte, um so an Geld zu kommen?“
Entschieden schüttelte Rachel den Kopf.
„Sarah war keine Diebin! Da fällt mir ein, einmal erwähnte sie in einem Nebensatz, dass sie etwas wüsste, was manchen Leuten ganz schön sauer aufstoßen könnte. Als ich nachhakte, lachte sie aber nur und wechselte das Thema.“
Erpressung, schoss es Mabel nun durch den Kopf, und das Objekt dieser Erpressung musste sich hier in Lower Barton befinden. Was jedoch konnte Sarah, die nie zuvor in Cornwall gewesen war, erfahren haben, das sich lohnte, jemanden zu erpressen? Wenn ihre Theorie stimmte, dann war der Mensch, der von Sarah erpresst worden war, auch ihr Mörder. Warum aber auf Higher Barton? Abigail konnte damit doch nichts zu tun haben. Sie hatte stets ein tadelloses Leben geführt. Jetzt unterhielt sie zwar eine sexuelle Beziehung zu ihrem jungen Chauffeur, aber selbst wenn Sarah darüber Bescheid wusste – eine ältere Frau und ein jugendlicher Liebhaber stellten heutzutage
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