Die Tote Von Higher Barton: Ein Cornwall-Krimi
der Nummer drei. Das Haus, in dem der Anwalt seine Räume hatte, lag direkt an dem Vorplatz der großen Kathedrale, die, obwohl erst Ende des 19. Jahrhunderts erbaut, einen mittelalterlichen Eindruck machte. Im Erdgeschoss befand sich ein Telefon- und Handygeschäft, daneben führte eine steile Treppe in den ersten Stock in die Kanzlei hinauf. Hier herrschte elegante Kühle – der Boden war weiß gefliest und an den ebenfalls weißen Wänden hingen grau-weiße Kunstdrucke mit futuristischen Motiven. Keine Grünpflanze zierte den Empfangsraum, selbst die Sekretärin hatte sich in ihrem grauen Kostüm und weißer Bluse der Umgebung angepasst.
Mabel wusste nicht, wie lange sie gewartet hatte – ihrem Empfinden nach schienen Stunden vergangen zu sein –, als sich die Tür öffnete und ein Herr mittleren Alters eintrat. Er war mit einem dunklen, zweireihigen Anzug mit Weste, einem blütenweißen Hemd und einer dunkelblauen Krawatte sehr elegant gekleidet. Sein kurzgeschnittenes, dunkles Haar hatte er mit Gel zurückgekämmt, und er trug eine randlose Brille.
„Miss Thompson, verschieben Sie bitte den Termin mit Mr Greenly um drei Stunden, ich muss gleich zum Gericht, und das wird länger als erwartet dauern.“ Sein Blick fiel auf Mabel, und er hob eine Augenbraue. „Haben wir einen Termin?“,fragte er geschäftsmäßig und sah demonstrativ auf seine Armbanduhr, von der Mabel vermutete, es handle sich um eine Rolex.
Mabel erhob sich. „Nein, Mr Trengove, ich möchte Ihre Zeit auch nicht lange in Anspruch nehmen, muss Sie aber in einer dringenden Angelegenheit sprechen.“
„Ich sagte der Dame bereits, dies wäre unmöglich ist, Mr Trengove“, warf die Empfangsdame ein. „Sie hat aber darauf bestanden zu warten.“
Alan Trengoves Blick glitt über Mabels Gestalt. Da es heute ein kühler, windiger Tag war und aus grauen Wolken immer wieder Regen fiel, trug Mabel ihren schlichten hellen Mantel, darunter eine einfache Stoffhose und eine Bluse, die sie vor Jahren bei Woolworth gekauft hatte, auch ihre Schuhe stammten nicht aus einer edlen Boutique. Alan Trengoves Blick war deutlich anzusehen, dass Frauen wie Mabel nicht unbedingt zum Klientel seiner Kanzlei gehörten.
„Vereinbaren Sie bitte einen Termin mit meiner Sekretärin“, sagte er kühl und wandte sich ab, um in sein Büro zu gehen.
„Mr Trengove, bitte …“ Mabel holte tief Luft und rief: „Ich bin die Cousine von Lady Abigail Tremaine von Higher Barton.“
Instinktiv führte sie ihre Verwandtschaft zu Abigail, die immerhin eine der ersten Damen Cornwalls war, ins Feld, denn sie spürte, der Anwalt umgab sich nur mit exklusiven und zahlungskräftigen Mandanten. Mr Trengove, die Hand bereits auf der Türklinke, wandte sich zu Mabel um.
„Lady Tremaine?“, fragte er verwundert, und erneut glitt sein Blick über Mabels einfache Kleidung. „Ich hoffe, es geht ihr gut. Sie hat mir Ihren Besuch allerdings nicht angekündigt.“
Mutig geworden trat Mabel vor den Anwalt.
„Bitte, Mr Trengove, nur eine Minute.“
„Nun gut, eine Minute.“ Er seufzte, öffnete dann die Tür zu seinem Büro und ließ Mabel vor sich eintreten. „Aber wirklich nur eine, ich habe gleich einen Termin bei Gericht.“
Trengoves Büro war ebenso kahl und nüchtern wie der Empfangsraum und erinnerte mehr an ein Krankenzimmer als an ein Büro. Mabel nahm auf einem modernen Stuhl mit Stahlummantelung und einer schwarzen, harten Sitzfläche Platz, der Anwalt setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Er legte die Fingerspitzen zusammen und sah Mabel ungeduldig an.
„Also, um was handelt es sich?“
„Ich komme wegen Sarah Miller.“ Mabel kam gleich zur Sache, sie hatte nicht viel Zeit.
„Sarah Miller?“ Mr Trengove runzelte die Stirn und dachte nach. „Der Name sagt mir spontan nichts. Ist die Dame eine Klientin meiner Kanzlei?“
„Das weiß ich nicht, Mr Trengove. Sie suchten Sarah Miller vor einigen Wochen in Bristol auf“, versuchte Mabel einen Schuss ins Blaue. Trengoves Stirn glättete sich, und er nickte langsam.
„Ich erinnere mich – eine junge, etwas unkonventionelle Frau. Was haben Sie mit ihr zu tun? Hat Lady Tremaine Sie geschickt? Wenn ja, wüsste ich nicht warum. Die Angelegenheit muss Lady Tremaine direkt mit Miss Miller regeln.“
Mabels Herz schlug ein paar Takte schneller. Es gab also tatsächlich eine Verbindung zwischen Sarah und ihrer Cousine! Würde das auch erklären, warum der Mord auf Higher Barton stattgefunden hatte? Mabel konnte
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