Die Tote von San Miguel
Instituto als Model gearbeitet.«
Flores ließ sich in seinen Sessel fallen und schüttelte müde den Kopf. »Schrecklich«, stöhnte er. »Es war ein gewaltiger Schock, als ich heute in der Zeitung von ihrer Ermordung gelesen habe. So eine empfindsame junge Frau, und dann wird ihr Leben wie eine Kerzenflamme ausgelöscht.« Sorgenfalten furchten seine Stirn. »Das ist sehr schlecht fürs Geschäft, wie Sie bestimmt verstehen. Viele unserer Schüler stammen aus Austauschprogrammen mit Universitäten in Los Estados Unidos und Kanada. Jetzt werden es sich ihre Eltern wahrscheinlich zweimal überlegen, ob sie ihren Töchtern oder Söhnen erlauben, zu einem so primitiven und gefährlichen Ort wie San Miguel zu reisen.«
» Director Flores, was können Sie uns über señorita Smallwood erzählen?«
»Sie ist vor rund einem Jahr zu uns gekommen. Aufgrundeiner Anzeige, die wir für Studio-Models aufgegeben haben. Sie hatte keinerlei Erfahrung als Model, aber sie war sehr attraktiv und besaß eine aus anatomischer Sicht hervorragende Figur. Wenn ich ganz offen sprechen darf, ihre Brüste waren mehr als üppig. Als ersten Versuch habe ich sie in einem Zeichenkurs eingesetzt. Sie hat sich ohne Scham ausgezogen und auf dem Podium Platz genommen. Von da an hat sie regelmäßig für uns Modell gesessen. In der Regel drei- bis viermal pro Woche. Und jetzt …« Flores breitete die Arme aus.
»Hatte sie näheren Kontakt zu den Schülern und Professoren?«, fragte Ortiz.
»Während ihrer Arbeit im Instituto war sie immer sehr reserviert. Einige der Schülerinnen beneideten sie um ihre Schönheit, aber sie hat sich immer sehr professionell verhalten und nie mit den Schülern oder dem Lehrpersonal geflirtet. Es gab natürlich ständig einige Männer und Frauen, die sich in sie verliebt haben. Sie hat es aber immer verstanden, Abstand zu ihnen zu halten, ohne dabei jemanden vor den Kopf zu stoßen.«
»Sie wollen damit also sagen, dass sie keine Feinde hatte?«, unterbrach Diaz. »Nicht einmal den einen oder anderen enttäuschten Verliebten?«
»Natürlich haben einige Leute schlecht über sie gesprochen. Von dem Lehrpersonal hat sich zum Beispiel Dr. Duncan ständig darüber beklagt, sie hätte ihre Posen nie lange genug durchgehalten und wäre zu dünn für ein gutes künstlerisches Model. Aber Duncan ist nie mit irgendwas zufrieden. Und dann gab es da natürlich noch die üblichen Gerüchte über ihr Leben außerhalb der Schule.«
Diaz unterdrückte ein Gähnen. Angehörige des Verwaltungsapparats neigten überall auf der Welt zur Weitschweifigkeit.Er wusste, dass er nicht so schwer zu Mittag hätte essen sollen, nachdem er die Nacht zuvor nur wenig Schlaf abbekommen hatte. Er tastete nach seinen Zigaretten und schob sich eine zwischen die Lippen.
» Dispenseme «, sagte Flores. »Ich wäre Ihnen sehr verbunden, wenn Sie hier nicht rauchen würden. Es ist so ein kleines Zimmer.« Er vollführte eine Handbewegung, die sein Büro von den Ausmaßen eines Wandschranks umfasste. »Und ich leide unter Asthma.«
In einem plötzlichen Anfall von Zorn zerquetschte Diaz die Zigarette zwischen den Fingern, ließ die Bruchstücke zu Boden fallen und beugte sich in seinem Stuhl vor. Die harte Kante der Sitzfläche schnitt ihm schmerzhaft in die Innenseite der Unterschenkel. »Was für Gerüchte?«
»Tratsch fällt nun wirklich nicht in mein Fachgebiet, Inspector.«
Diaz stützte sich mit einem Arm auf die Schreibtischplatte und schob den Oberkörper einschüchternd vor.
»Ich gebe einen Fliegenschiss auf Ihre Sensibilität, Director . Wir versuchen hier, den Mörder einer jungen Frau zu finden, die von ihrem Alter her problemlos Ihre Tochter hätte sein können. Wahrscheinlich sitzt er genau in diesem Moment irgendwo da draußen, trinkt ein Bier, zündet sich eine Zigarette an und beobachtet die Passantinnen. Sucht sich sein nächstes Opfer aus. Wenn wir ihn rechtzeitig aufspüren wollen, müssen wir alles über Amanda Smallwood in Erfahrung bringen, was es über sie zu wissen gibt.«
Er war noch nicht ganz damit fertig, el Director anzufauchen, als sein Gesicht blass wurde. Ein stechender Schmerz kroch durch seine Eingeweide wie ein Parasit, der sich als Ninja verkleidet hatte. Vielleicht aber erlitt er auch gerade wie Armandos Frau eine Fehlgeburt – wenn auch nur eineseelische. Der zynische Vergleich ließ ihn innerlich grinsen. Was bin ich doch für ein Riesenarschloch , dachte er.
Ein dünner Schweißfilm schimmerte auf
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