Die Tote von San Miguel
unwillkürlich die Finger, und die Glock segelte in die Nacht.
Wo war sie gelandet? Diaz robbte auf dem Bauch hinter der Deckung aus Ziegelsteinen und Stuck über den Boden und tastete hektisch nach seiner verschwundenen Waffe, konnte sie aber nirgendwo finden.
Während kostbare Sekunden verrannen, atmete er ein paar Mal tief durch und versuchte, seine Chancen einzuschätzen. Hatte Zato Reservemunition für seinen alten Colt dabei? Wenn nicht, blieben ihm höchstens noch drei Kugeln. Doch das war mehr als genug, um ihn zwei Meter tief unter die Erde zu befördern.
Mir läuft die Zeit davon , dachte er. Vermutlich kreisten ihn die drei Banditen ein, während er sich seine nächsten Schritte zurechtlegte. Er würde es riskieren müssen wegzurennen. Einfach zu rennen, als wäre ihm der Teufel auf den Fersen.
Ohne weiter nachzudenken, sprang er auf und sprintete im Zickzack durch das Labyrinth aus Grabstätten. Kies spritzte unter seinen Füßen.
»Schnappt ihn!«, heulte Zato.
Diaz hörte das Trommeln von Füßen in der Dunkelheit hinter sich. Plötzlich ertönte ein gellender Schrei, begleitet von einem dumpfen Klatschen, mit dem zwei Körper heftig zusammenprallten. Im gleichen Moment sah er das schwacheSchimmern des Sternenlichts auf seiner Glock, die halb im Schatten auf dem Weg vor ihm lag. Er rannte darauf zu.
»Umzingelt von Idioten!«, schrie Zato wie in einer schlechten Imitation von König Lear.
Das Jaulen einer Polizeisirene durchschnitt die Nacht. Irgendjemand in der Nachbarschaft hatte wegen der Schüsse offenbar die Notrufnummer gewählt.
Aufgeschreckt durch die Polizeisirene, kletterte Zato hastig über eine Mauer aus zerbröselnden Adobeziegeln und hetzte einen schmalen, mit Müll übersäten Pfad entlang, der sich zwischen hohen Grundstücksmauern hindurchwand.
Diaz, jetzt wieder im Besitz seiner Waffe, machte sich auf die Suche nach den beiden anderen Angreifern. Den einen fand er tot vor, aufgespießt von einem verrosteten schmiedeeisernen Zaunpfosten. Der andere wälzte sich vor Schmerzen stöhnend auf dem Boden herum. Anscheinend hatte er sich beim Zusammenprall mit seinem Kumpel die Nase gebrochen.
Während hinter der Friedhofsmauer das rote Warnlicht des Streifenwagens wie das einer Signalboje rhythmisch aufblitzte, trat Diaz den wimmernden Strolch bewusstlos.
Als die beiden Beamten der Policía Preventiva mit gezogenen Waffen auf dem schmalen Weg erschienen, der zum Eingang des Friedhofs führte, fanden sie Diaz rauchend an die stuckverzierte Mauer gelehnt vor. Zu seinen Füßen lag der bewusstlose Gauner, aus dessen Mund und Nase Blut tropfte.
»Da drinnen ist noch ein anderer«, sagte Diaz mit einem Nicken in Richtung des Eingangs. »Hat sich selbst auf einem Zaunpfosten aufgespießt. Macht einen ziemlich toten Eindruck auf mich.«
»Alles mit Ihnen in Ordnung, Inspector ?«, erkundigte sich der ältere der beiden Polizisten. Sein geschulter Blick registrierte Diaz’ blutverschmiertes Hemd und die Risse in Kniehöhe der beiden Hosenbeine.
»Nur ein paar Kotzbrocken, die mich für ein leichtes Opfer gehalten haben«, erwiderte Diaz achselzuckend. »Pech für sie. Der Dritte ist hier über die Mauer geklettert und den Hügel runtergelaufen. Ist mittlerweile längst verschwunden.«
»Würden Sie ihn wiedererkennen, Inspector ?«
» Absolutamente «, versicherte Diaz. »Schon allein an seinem Gestank.«
Bisher war San Miguel immer ein friedlicher ruhiger Rückzugsort gewesen. Doch plötzlich erschienen Verbrecher und Gauner auf der Bildfläche wie gefräßige Termiten, die sich den Weg aus ihren Verstecken im Holz frei genagt hatten. Wohin sollte das alles noch führen?
Diaz fühlte eine ungewohnte Last auf seinen Schultern ruhen. Es wurde höchste Zeit, nach Hause zu gehen und zu schlafen.
Kapitel 14
Von einem heftigen Schlag mit der Hand getroffen, segelte der Wecker quer durch das Zimmer, prallte mit dem trockenen Knacken von zersplitterndem Plastik gegen die Wand und fiel zu Boden. Doch trotz der brutalen Behandlung summte er beharrlich weiter wie ein liebestolles Insekt während der Paarungszeit.
Diaz stöhnte, als brächte der neue Tag seine Seele zum Schwingen, zerrte ihn aus einem tiefen finsteren Abgrund zurück ans Licht. Er blieb in einem Kokon aus Decken und Laken liegen, zu benommen, um die Quelle des nervtötenden Geräuschs zu finden und sein Zerstörungswerk zu beenden. Als ihm schließlich klar wurde, dass der japanische Wecker nicht freiwillig Harakiri
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