Die Tote von San Miguel
eine der Tassen goss und sie Diaz reichte. Er trank einen Schluck. Oolong, ein dunkles feinaromatisches Gebräu, das er seit seiner Studienzeit nicht mehr getrunken hatte. Damals war er eine Weile mit einer Halbchinesin zusammen gewesen, die ihm jedes Mal, nachdem sie sich geliebt hatten, Oolongtee zusammen mit einem Glückskeks serviert hatte. Allerdings hatte sich keine der Prophezeiungen aus den Glückskeksen jemals erfüllt.
Diaz verdrängte die unerwartet in ihm aufgestiegene Erinnerung. »Ich habe Ihren Namen von Julia aus der Galería Rana .«
»Sie hat Ihnen erzählt, dass ich Gregori bei mir beherberge, nicht wahr? Vielleicht hat sie Ihnen aber auch eine etwas primitivere Beschreibung von unserem Verhältnis geliefert.«
»Sie hat lediglich erwähnt, dass er hier wohnt.«
»Und wie haben Sie das interpretiert?«
»Auf keine besondere Weise.«
»Nicht dass Gregori und ich Fickkumpel sind?« In ihrer Stimme klang ein Anflug von Ärger oder Bitterkeit mit.
Diaz zuckte die Achseln. »Das wäre nichts Besonderes, so oder so.«
Sie lächelte nicht. »Also, warum interessieren Sie sich für Gregori?«
»Ich untersuche den Tod einer Amerikanerin, die hier in San Miguel gelebt hat. Amanda Smallwood. Sie haben vielleicht schon von ihrer Ermordung gelesen.« Diaz deutete mit einem Nicken auf ein Exemplar der Atención , das auf dem Kaffeetisch zwischen ihnen lag. » Señor Gregorowitsch hat sie als Modell benutzt.«
Diesmal war er sich sicher, Bitterkeit in der Art zu entdecken, wie die Frau ihm gegenüber die Stirn runzelte und die Lippen verzog.
»Ja, Amanda war eine von Gregoris kleinen Nutten. Er hat sie regelrecht gesammelt. Aber sie war die Einzige, die nie die Beine für ihn breit gemacht hat. Obwohl er in dieser Hinsicht nie zurückhaltend war.«
Ihre Tasse und Untertasse klapperten wie Zähne aufeinander, als sie sie auf dem Tischchen abstellte.
»Das würde man nie vermuten«, sagte Diaz. »Wenn man seine Bilder von ihr betrachtet. Dass sie nicht die Beine für ihn breit gemacht hat, meine ich.«
»Ich fürchte, ich habe Gregoris letzte Arbeiten nicht gesehen.Die richtigen Bilder, nicht den billigen Kram, den er für die Touristen gemalt hat. Er hat in einem Schuppen auf der Rückseite meines Hauses gearbeitet und darum immer ein Geheimnis gemacht wie der KGB. ›Es bringt Unglück, wenn ich irgendjemanden meine Bilder vor einer Ausstellung sehen lasse‹, hat er gesagt. Sein Ego war so groß wie das eines zweitklassigen Politikers. Da ich mit ihm gevögelt habe, fand ich, dass ich das Recht hätte, als Erste einen kurzen Blick auf seine Geniestreiche werfen zu dürfen. Aber immer, wenn ich auch nur in die Nähe seiner Arbeit gekommen bin, hat er gesagt, ich solle abhauen. Ich bin nicht einmal jetzt in dem Schuppen gewesen.«
»Nicht einmal jetzt?«
»Oh, hatte ich das nicht bereits erwähnt? Gregori wohnt nicht länger hier. Nicht mehr seit letztem Donnerstag. Wir sind auf eine Party gegangen, und er hat sich wie das Arschloch benommen, das er im Grunde schon immer war. Ich bin nur bisher einfach zu blöde gewesen, etwas dagegen zu unternehmen. In der Nacht habe ich ihn dann endlich ausgesperrt. Seither habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
Mit einer hastigen Bewegung öffnete sie eine dekorative Schatulle aus gebranntem Ton, die auf dem Tisch vor ihr stand, und entnahm ihr eine Zigarette. Diaz interpretierte das als ein Signal, dass er hier rauchen durfte. Er benötigte einige Sekunden, bis er das zerknautschte Päckchen Montanas in einer seiner Jackentaschen gefunden hatte. Fran wartete ungeduldig, während er nach seinem Feuerzeug suchte, einem glänzenden verchromten Zippo, und ihr Feuer gab. Dann blies sie eine Rauchwolke gegen die Decke, lehnte sich zurück und ließ die Schultern kreisen, die Brüste unter dem Baumwollkleid wie zwei Beaglewelpen vorgereckt.
Diaz verfolgte ihre erotischen Dehnübungen mit fatalistischemGrausen. Sie hätte ihm ebenso gut splitterfasernackt gegenübersitzen können.
»Aber Sie haben doch bestimmt señor Gregorowitschs Ausstellung in der Galería Rana besucht?«, fragte er.
»Warum hätte ich das tun sollen? Bis letzten Donnerstag war ich lediglich ein dummes Schulmädchen, das sich von dem gefährlichen artiste aus L. A. mit einem Namen wie aus einem Dostojewski-Roman hat umhauen lassen. Zum Glück hat mich die kleine Hure, mit der ich ihn an diesem Abend erwischt habe, endlich aus meinem Tagtraum gerissen.«
»Wann sind Sie und Mr. Gregorowitsch nach
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