Die Tote von San Miguel
An den Wänden stumpfgraue Metallschränke. Ein Schreibtisch. Inmitten eines Durcheinanders von Papieren entdeckte Diaz eine schmutzige Kaffeetasse, ein gerahmtes Foto von Bass Smallwood und Amanda, ein Telefon und einen Anrufbeantworter, in dem ein kleines rotes Lämpchen wie ein mattes Leuchtfeuer blinkte. Der einzige Wandschmuck bestand aus einem Kalender. Ms. Februar, eine vollbusige Frau, nackt bis auf ein schwarzes Lederhöschen, lag wie ein erlegter Hirsch auf der Motorhaube eines Dodge Viper.
Am Ende des Ganges gab es einen weiteren Schalter. Helles Licht riss die Galerie aus der Dunkelheit, als Diaz ihn umlegte. Ihm bot sich ein chaotischer Anblick. Überall auf dem Boden verstreut lagen zerfetzte Gemälde herum, Leinwände, die von ihren Unterlagen gerissenen worden waren. Zu scharfkantigen Splittern zertrümmerte Holzrahmen.
»Heilige Scheiße!«, entfuhr es Felicia.
»Das kannst du laut sagen«, erwiderte Diaz.
Er durchsuchte den Raum nach Leichen, konnte aber keine finden. Seine Augen huschten durch den langgestreckten Raum mit den weißgetünchten Wänden. Schließlich ließ er sich in die Hocke nieder und strich mit den Fingern über eine verknitterte Leinwand, auf der ein mexikanischerBauer einen Esel durch eine von Kakteen und blühenden Mesquitesträuchern geprägte Landschaft führte.
Die Signatur auf dem Bild, bis auf das große G unlesbar, war identisch mit der Unterschrift auf dem Brief von Gregorowitsch, den Fran Kovacs Diaz gegeben hatte. Der Stil und das klischeehafte Motiv ähnelten den Bildern aus dem Stapel in Gregorowitschs Atelier.
Amanda Smallwood, Künstlermuse und launische Tochter. Gregori Gregorowitsch, mittelloser Maler und Weiberheld. Bass Smallwood, Galeriebesitzer und gescheiterter Ehemann. Da hatte sich schon eine bemerkenswerte Mischung unterschiedlicher Charaktere zusammengefunden.
Und es schien immer wahrscheinlicher zu werden, dass Amanda nicht die Einzige war, die die Welt der Lebenden verlassen hatte.
Diaz drehte das zerstörte Gemälde auf dem Boden zu seinen Füßen um. Irgendjemand hatte die Leinwand mit roher Kraft von ihrem Holzrahmen gerissen. Die ungewöhnlich dicken Leisten des Rahmens waren mit einem Messer oder einem anderen scharfen Gegenstand aufgebrochen worden und erwiesen sich als innen hohl.
Man musste kein Genie sein, um sich vorstellen zu können, was darin transportiert worden war.
Plötzlich spürte Diaz die Berührung von kaltem Metall auf der Haut direkt hinter einem seiner Ohren. Ein kalter Schauer lief ihm über den Rücken. War das sein Ende?
»Keine … gottverdammte … Bewegung«, sagte eine leise Stimme. Jedes einzelne Wort bohrte sich ihm wie eine Nadel ins Gehirn. »Leg dich mit dem Gesicht auf den Boden, die Hände auf den Kopf.«
Während Diaz die Anweisung befolgte, presste ihm der Unbekannte brutal ein Knie in den Rücken, riss ihm dieArme zurück, drückte sie fest zusammen und ließ Handschellen um seine Handgelenke einrasten. Wo, zum Teufel, steckte Felicia?
»Ich bin Polizist«, sagte Diaz so ruhig wie möglich.
»Na klar«, knurrte die Stimme in seinem Rücken. »Und ich bin Dirty Harry.«
Diaz wurde auf die Knie hochgezogen, und ein stiernackiger Mann in einer billigen, schlecht sitzenden Navyjacke schob sich in sein Blickfeld. Er hielt einen großkalibrigen Revolver in einer riesigen Pranke, den er auf einen Punkt zwischen Diaz’ Augen gerichtet hatte. Als der erste Adrenalinschub in Diaz’ Blutbahn abebbte, registrierte er auch das Gesicht des Mannes. Eine breite, von tiefen Falten gefurchte Stirn. Blassblaue Augen, die so geheimnisvoll wie Kristalle leuchteten. Nur oberflächlich rasierte Wangen. Zwei Reihen teure, zu einem breiten Grinsen gefletschte Zahnprothesen.
»Okay, Kumpel, du hattest deinen Spaß dabei, diesen Schuppen auseinanderzunehmen«, sagte der Mann. »Also, wer, zum Geier, bist du?«
»Das habe ich Ihnen bereits gesagt«, erwiderte Diaz. »Ich bin Polizist. Aus San Miguel de Allende in Mexiko. Ich bin gestern Nacht nach Dallas geflogen. Wir untersuchen das Verschwinden von Bass Smallwood, dem Besitzer dieser Galerie.« Er schwieg einen Moment lang, bevor er fragte: »Und wer sind Sie?«
»Detective Bruccoli, Dallas Police Department.«
Diaz schätzte den Mann auf Ende fünfzig, in einem Alter, in dem er Anspruch auf die volle Pension hatte, sollte er aus dem Dienst ausscheiden.
Ihr Gespräch wurde durch das gedämpfte Rauschen einer Toilettenspülung unterbrochen. Eine Tür öffnete
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