Die Tote von Schoenbrunn
Epstein, Baron Efrussi und viele andere, dürfen, wenn sie von irgendeinem kleinen Freiherrn beleidigt werden, diesen nicht einmal zum Duell fordern. Das ist doch völlig absurd.“
Gustav fand die Bemerkung seines Vaters etwas unpassend, unterbrach ihn aber nicht.
„Immer mehr antisemitische Vereine schießen in letzter Zeit aus dem Boden, zum Beispiel der Österreichische Reformverein oder der Deutschnationale Verein. Ich verstehe das nicht. Warum und weshalb muss man die Juden jetzt zu einem Feindbild hochstilisieren? Weil sie intelligenter und gebildeter sind als die meisten von uns? Oder eher, weil sie geschäftlich so erfolgreich sind? Der Neid ist ein Hund, das sag ich dir!“
Gustav strahlte. Sein alter Herr war eben ein richtiger Grandseigneur.
„Diese Antisemiten werden jedenfalls immer frecher und brutaler. Und keiner gebietet ihnen Einhalt. Veras Patentochter Dorothea ist Jüdin. Oder besser gesagt, ihr Vater Doktor Palme war Jude. Sie würde gern in Wien Medizin studieren. Selbst wenn die Frauen die Zulassung zur Medizinischen Fakultät erreichen sollten, wovon meine Tante Vera überzeugt ist, wird Dorothea an der Alma Mater Rudolphina als Jüdin große Probleme haben. Die meisten Professoren sind Antisemiten. Selbst dieser geniale Arzt, Doktor Sigmund Freud, hat es schwer, sich gegen seine Kollegen durchzusetzen.“
„Die kleine Palme gefällt dir, oder?“
Gustav schüttelte den Kopf. „Nein“, log er. „Sie ist wie eine Schwester für mich. Und ich kann ihre Verzweiflung nachempfinden. Warum darf sie nicht Medizin studieren? Nur, weil sie eine Frau ist?“
„Du bist ja ein richtiger Freund der Frauen.“ Sein Vater blickte ihn milde lächelnd an.
Beim gemeinsamen Lunch brachte Gustav den letzten Mord in der Kaiserlichen Menagerie in Schönbrunn zur Sprache.
Er erfuhr von Graf Batheny, dass die Baronin die Geliebte ihres Reitlehrers Max von Gutbrunnen war.
„Marie von Braunstätt war eine sehr temperamentvolle dunkle Schönheit. Sie sah übrigens unserer verstorbenen Kaiserin ein bisschen ähnlich“, sagte der Graf.
Den Namen des Reitlehrers hatte Gustav unlängst gehört. Als ihm einfiel, in welchem Zusammenhang die Sprache auf den Reitlehrer gekommen war, versuchte er mehr über dieses unpassende Verhältnis in Erfahrung zu bringen. Doch Graf Batheny bat ihn nun, die nächsten Tage in der Villa in Hietzing zu nächtigen, da er mit den Umbauarbeiten seines Palais’ sehr beschäftigt war und oft erst spät abends oder gar nicht heimkehren würde.
„Mir wäre wohler, wenn Marie Luise nicht mit der Dienerschaft allein dort draußen ist“, erklärte er.
„Sie müssen ihr endlich mitteilen, dass ich ihr Bruder, Halbbruder bin … sonst wäre meine Nächtigung in Ihrem Haus, während Ihrer Abwesenheit, äußerst unpassend.“
Gustav war es peinlich, dass seine Halbschwester nach wie vor versuchte, ihm schöne Augen zu machen, aber das konnte er seinem Vater schlecht erzählen.
„Sie wird eine ihrer schrecklichen Nervenkrisen bekommen. Leider gerät sie in dieser Hinsicht nach ihrer Frau Mama. Trotzdem, ich verspreche dir, dass ich, sobald ich sie mal bei guter Stimmung antreffe, mit ihr reden werde. Vielleicht weiß sie ohnehin längst Bescheid, denn, soviel ich gehört habe, munkelt man am Hof seit langem über die verblüffende Ähnlichkeit zwischen uns beiden.“
Gustav stieg die Schamesröte ins Gesicht.
„Warum errötest du? Findest du mich so hässlich?“, scherzte der Graf.
„Sie meinen, dass ohnehin alle am Hof ahnen, dass ich Ihr natürlicher Sohn bin?“
„Ja, mein Lieber. Und ich bitte dich, endlich mit diesem förmlichen Sie aufzuhören. Du bist mein einziger Sohn und darfst mich ruhig duzen. Das 20. Jahrhundert naht, wir sind moderne Menschen. Diese altmodischen Manieren werden hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.“
Gustav überlegte, wie er den Grafen in Zukunft anreden sollte. Vater schien ihm viel zu ernst, ja fast theatralisch. Papa? Nein, das sagte man in seinem Alter nicht mehr. Und mit seinem Vornamen Alexander konnte er ihn auch nicht anreden, das war erst recht unpassend. Er beschloss, ihn eine Weile gar nicht direkt anzusprechen.
Bevor er sich verabschiedete, überreichte Graf Batheny seinem Sohn ein dickes Kuvert.
Gustav protestierte halbherzig, nahm aber das Geld an, als der Graf sagte: „Du hast bisher gute Arbeit geleistet, lieber Gustav. Wenn jemand diesen Frauenmörder von Wien zur Strecke bringen kann, dann du. Deinem
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