Die Tote von Schoenbrunn
gut. Ich kenn mich aus. Danke, Rudi!“
Gustav verabschiedete sich betont herzlich von seinem griesgrämigen Freund und spazierte hinüber in den sechsten Bezirk. Er wollte das Haus, in dem Max von Gutbrunnen wohnte, gleich näher in Augenschein nehmen.
Mittlerweile hatte er in Erfahrung gebracht, dass der Reitlehrer der Liebling der Wiener Damenwelt war. Selbst seine Halbschwester hatte unlängst von diesem Mann geschwärmt. Inzwischen hatte Graf Batheny Gustavs Wunsch entsprochen und Marie Luise über ihre Blutsverwandtschaft mit Gustav aufgeklärt. Angeblich war sie nicht sonderlich überrascht gewesen. An einem ruhigen Abend in der Villa Batheny hatte sie Gustav anvertraut, dass Max von Gutbrunnen einst auch ihr Reitlehrer gewesen war. Und sie hatte ihn als sehr gut aussehend beschrieben: groß und kräftig, breite Schultern, schmale Hüften, dunkle feurige Augen und dichtes braunes Haar.
20
In Mariahilf hatten sich in den letzten Jahren viele kleinere und größere Betriebe angesiedelt. Aus einem Fabrikschlot stieg hässlicher schwarzer Rauch in den blassblauen Himmel auf. Der Gestank war unerträglich. Gustav hielt sich ein Taschentuch vor Nase und Mund.
Als er am Gebäude der Firma C.T. Petzold & Co. vorbeikam, fiel ihm ein, dass sich die Dame des Hauses, Baronin Sonja Knips, gerade von seinem Lieblingsmaler Gustav Klimt porträtieren ließ. Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. Die Baronin war so ganz nach seinem Geschmack, leider hatte er bisher nicht das Vergnügen gehabt, ihr vorgestellt zu werden. Die Gerüchteküche vermeldete, dass diese entzückende, verarmte Dame aus altem Geschlecht eine reine Vernunftehe eingegangen war. Hoffentlich ist es meinem ehrenwerten Namensvetter gelungen, sie etwas aufzumuntern, dachte Gustav amüsiert.
Das Glück war ihm hold. Als er von der Gumpendorfer Straße die schmale Hirschengasse hinauf zur Liniengasse ging, sah er einen großen, gut gebauten Mann forschen Schrittes auf den Eingang eines Neubaus zuschreiten. Er entsprach genau Marie Luises Beschreibung. Gustav war sich sicher, dass es sich um Max von Gutbrunnen handelte.
Er blieb ein paar Meter zurück, drückte sich an der Mauer des Nebengebäudes entlang und hoffte, dass der „stramme Max“, wie ihn seine Halbschwester genannt hatte, nicht bemerken würde, dass er ihm folgte.
Als Gustav, kurz bevor sich das Eingangstor schloss, in das Haus Nummer 4 schlüpfte, hatte Max von Gutbrunnen bereits die Stiegen zum Mezzanin erklommen und war aus seinem Blickfeld verschwunden.
Das Entree sah sehr modern und nobel aus. Über dem breiten Stiegenaufgang des Hauses stand in verschnörkelten Großbuchstaben Salve .
Wie konnte sich ein einfacher Reitlehrer hier eine Wohnung leisten?, fragte sich Gustav.
Er folgte Max hinauf in den dritten Stock und presste seinen Körper an das gusseiserne Stiegengeländer, um zu sehen, welche Tür er eine Etage darüber aufschloss.
Nachdem er mehr gehört als gesehen hatte, wohin der Reitlehrer verschwunden war, machte er kehrt und ging zurück zur Hirschengasse, zündete sich ein Zigarillo an und behielt den Hauseingang in der Liniengasse im Auge.
Nach etwa einer Viertelstunde verließ Max von Gutbrunnen das Haus wieder und ging in Richtung Gumpendorfer Straße.
Gustav erwischte das Tor, bevor es ins Schloss fiel, und nahm die Stiegen hinauf in den vierten Stock im Laufschritt. Auf der letzten Etage unter dem Dachgeschoss gab es zwei Wohnungen. Die vergitterten Küchenfenster gingen auf den Gang hinaus. Auch in der anderen Wohnung schien keiner zu Hause zu sein.
Gustav schaffte es mit seinem Taschenmesser, das Schloss zu knacken.
Die beiden großen Zimmer waren spartanisch eingerichtet und erinnerten Gustav an seine Unterkunft in der Kaserne in Galizien, in der er acht trostlose Jahre verbracht hatte. Nur das Bett des Herrn Reitlehrer war luxuriöser als sein Stahlrohrbett dort gewesen war.
Hastig durchsuchte Gustav die Schreibtischladen, entdeckte nichts von Interesse.
Erst als er sich die Schublade des Nachtkästchens vornahm, wurde er fündig. Mindestens zwanzig nach Parfüm duftende Briefe auf kostbarem Papier. Er sah die wohlriechende Korrespondenz durch und fand etwa ein halbes Dutzend Liebesbriefe der Freifrau von Braunstätt. Bemerkenswert war vor allem ihr letzter Brief, eine Art Abschiedsschreiben, in dem sie Max von Gutbrunnen darum bat, ihre Korrespondenz endlich zu vernichten. Der Wortlaut ihres Briefes war mehr als aufschlussreich:
… Ich
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