Die Tote von Schoenbrunn
neckte Dorothea ihn und band ihm noch ein rotgepunktetes Tüchlein um den Kopf.
Die Vorliebe der Wiener für die Lagunenstadt hatte eine lange Tradition. Die Sehnsucht nach dem Süden und dem Meer hatte seit Jahren nicht nur die höfischen Kreise erfasst, auch das einfache Volk, das sich niemals eine Reise nach Venedig würde leisten können, träumte vom Süden. Gabor Steiner hatte vor ein paar Jahren ‚Venedig in Wien‘ am Rande des Wurstelpraters errichtet und die Menschen strömten nach wie vor in die künstliche Lagunenstadt und ließen sich von den schwülstigen Gesängen der Gondolieri bezaubern, während sie auf dem kleinen Canal Grande im Prater dahindümpelten. Es geht eben nichts über die Macht der Illusionen, dachte Gustav.
Vera von Karoly und Dorothea, die ebenfalls zu dem Fest eingeladen waren, verbrachten wieder Stunden in Veras Ankleidezimmer. Nachdem Gustav ihnen seinen Verdacht mitgeteilt hatte, dass Frauen, die der jungen Kaiserin ähnlich sahen, besonders in Gefahr waren, kleidete sich Dorothea bewusst wie die junge Kaiserin. Sie zog ein weißes, schulterfreies Ballkleid an und bat Josefa, ihr Korsett so eng zu schnüren, bis sie fast keine Luft mehr bekam. Ihr langes rotblondes Haar trug sie offen, so wie die Kaiserin auf dem berühmten Gemälde.
Gustav erbleichte und verbot ihr, den Lockvogel zu spielen.
„Sei nicht so humorlos. Ich gehe eh inkognito. Du brauchst dich also nicht für mich zu genieren.“ Dorothea hielt sich eine venezianische Stabmaske vors Gesicht, die Maske der Colombina aus der Commedia dell’arte.
„Die passt so gar nicht zu dir. Du bist das genaue Gegenteil von einem kleinen Täubchen“, pflanzte Gustav nun sie.
Seine Tante hatte, trotz der persönlichen Einladung des Grafen, nicht mitkommen wollen und Arbeit vorgeschoben. Doch Gustav war es mit Dorotheas Hilfe gelungen, sie zu überreden. Er hoffte, der Mörder würde sich vielleicht unter den Gästen befinden, und setzte auf die Beobachtungsgabe seiner Tante. Sie spielte genauso gern Detektiv wie er.
Vera erschien in großer Abendrobe auf dem Fest. Ihr Kleid war uralt und stammte tatsächlich aus Venedig. Es hatte ihrer Mutter gehört und passte ihr wie angegossen. Ganz in schwarze Spitze gekleidet wirkte sie sehr elegant. Auch sie trug eine Maske, die gleiche wie Dorothea. Die Colombina nera bedeckte nur ihre obere Gesichtshälfte. Gustav war stolz auf seine beiden blendend aussehenden Begleiterinnen.
Vor allem die Dame in Schwarz erregte großes Aufsehen. Graf Bathenys Schwiegervater, Graf Seckenberg, genannt Secki, ein großer, immer noch kräftiger Mann Mitte siebzig, war hingerissen von Vera. Er wich den ganzen Abend lang nicht von ihrer Seite. Die anderen Gäste begannen über die unbekannte Schöne und den alten Grafen, der in früheren Jahren kein Kostverächter gewesen war, zu tuscheln.
„Es war eine schöne Leich, aber das Leben geht weiter“, flüsterte Graf Seckenberg fast vergnügt in Veras Ohr, als er sie um einen Walzer bat.
„Pardon, aber es wird heute Abend nicht getanzt“, sagte Vera.
Kurze Zeit später hob Graf Batheny auf Drängen seiner Tochter und seines Schwiegervaters das Tanzverbot auf und bat Vera zu einer Quadrille.
Er gestand ihr, dass er vor genau siebenunddreißig Jahren in sie verliebt gewesen war. Da sie ihm jedoch keine Beachtung geschenkt hatte, habe er begonnen sich für ihre ältere Schwester zu interessieren. „Und daraus ist bald Ernst geworden“, fügte er bedeutungsvoll hinzu.
„Sie meinen Gustav“, sagte Vera und schlug ihm schelmisch mit ihrem Fächer aus schwarzer Spitze auf die Finger.
Gustav, dem die kleine Tändelei zwischen seinem Vater und seiner Tante nicht entgangen war, wollte sich schon einmischen und dem geschmacklosen Getue ein Ende bereiten, als er bemerkte, dass ihm eine atemberaubende Schönheit interessierte Blicke zuwarf.
Die junge Dame hatte einen frischen, rosig schimmernden Teint, ein feines, schmales Näschen, bernsteinfarbene Augen und schweres, dunkelbraunes Haar, das sie zu einem breiten Haarkranz geflochten und hochgesteckt hatte. Sie trug keinerlei Schmuck zu ihrem eleganten burgunderroten Kleid, in dem sie sehr anmutig und irgendwie unschuldig wirkte. Zudem war sie gertenschlank, die Ähnlichkeit zur verstorbenen Kaiserin war nicht zu übersehen.
Gustav konnte seine Augen nicht von ihr wenden. Die Dame war in Begleitung ihres Cousins, Baron Engelsdorff, erschienen und eine Freundin von Marie Luise. Gustav bat seine
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