Die Tote von Schoenbrunn
Halbschwester, ihn mit der Schönen bekannt zu machen.
Marie Luise erfüllte ihm seinen Wunsch sogleich.
Nach kurzer, belangloser Konversation mit Baronesse von Engelsdorff fühlte sich Gustav ernüchtert. Ihr oberflächliches Geplapper ging ihm auf die Nerven.
„Verehrte Baronesse, es war mir ein Vergnügen, mit Ihnen plaudern zu dürfen“, sagte er und verbeugte sich galant, bevor er sie stehen ließ. Sein Blick suchte Dorothea.
Ein italienischer Cavaliere namens Giuseppe Cagnola, ein Anhängsel der Opernsängerin, machte Dorothea während des gesamten Abends schöne Augen.
Sie interessierte sich zwar nicht für ihn, musste sich aber eingestehen, dass ihr seine Komplimente nicht unangenehm waren. Er erinnerte sie ein bisschen an Gustav, war zwar fast einen Kopf kleiner als dieser, hatte aber ebenso volles schwarzes Haar, schöne, dunkle Augen und einen feschen Schnurrbart. Seine schwarze Maske, eine Volto nero, die sein ganzes Gesicht verdeckte, hatte er, kaum war die erste Arie der Diva verklungen, abgenommen. Er hatte sich als Impresario der Mailänder Sängerin vorgestellt und im Gespräch mit Dorothea und Marie Luise behauptet, der verarmten toskanischen Habsburgerlinie zu entstammen.
Kaum hatte sich der Cavaliere entfernt, um für die beiden Damen Champagner zu holen, flüsterte Marie Luise ihrer neuen Freundin ins Ohr: „Dieser Lackaffe ist in Sie verliebt. Geben Sie Acht, ich fürchte nämlich, diese fette Diva, die mir mein Herr Papa zum Geschenk gemacht hat, ist tödlich eifersüchtig. Sie starrt andauernd zu uns herüber.“
„Sie meinen, er ist ihr …“
„Ihr Galan. Was denn sonst? Impresario, dass ich nicht lache! Papa hat mit ihr höchstpersönlich korrespondiert. Ich weiß schon lange, dass er sie für mein Fest engagiert hat. Ich lese immer seine Post.“
„Sie sind unmöglich, Comtesse!“
„Ich weiß“, kicherte Marie Luise.
„Ich finde sie nicht wirklich fett. Sie ist vielleicht ein wenig voluminös. Opernsängerinnen müssen etwas rundlich sein, sie brauchen das für ihr Stimmvolumen“, behauptete Dorothea, die nicht besonders musikalisch war. „Und sie hat ein sehr hübsches Gesicht, das müssen Sie zugeben.“
Als Gustav Dorothea mit seiner Halbschwester auf einem Kanapee in einer dunklen Ecke erblickte, begab er sich zu ihnen und forderte Dorothea schroff auf, endlich mit ihm zu tanzen.
„Ich kann nicht gut tanzen.“
„Das macht nichts. Ich bringe es dir bei.“
Sie tanzten einen Walzer. Dorothea trampelte zwar ein paar Mal auf seinen Füßen herum, doch galant ignorierte er ihre Ungeschicklichkeit. Gustav war ein ausgezeichneter Tänzer. Er wirbelte die arme Dorothea durch den Ballsaal, bis ihr fast die Sinne schwanden. Und er genoss es, ihr endlich einmal nahe sein zu dürfen. Seinen rechten Arm hatte er um ihre Taille geschlungen, in seiner Linken hielt er ihre Hand, drückte sie manchmal ganz sanft und erlaubte sich sogar, mit seiner anderen Hand zärtlich über ihren Rücken zu streichen. Dorothea tat, als würde sie dies nicht bemerken. Ihre Blicke verrieten ihm aber, dass sie den Walzer ebenso genoss wie er. Sie strahlte ihn an, und beide waren sich bewusst, dass sie das aufregendste Paar im ganzen Saal waren. Die anderen Tanzpaare machten ihnen Platz, hörten sogar auf zu tanzen und gruppierten sich um sie. Fast wie in Trance folgte Dorothea dem Druck seiner Hände. Er verlor sich indessen in süßen Träumen, wenn ihre Handfläche sich vertrauensvoll an seine schmiegte, und wenn ihre Brüste seinen Oberkörper berührten, verlor er fast seinen Verstand.
„Bravo, Gustav, bravo!“, rief Graf Batheny seinem Sohn zu, als sie an ihm vorbeiwirbelten.
Die Beifallsrufe brachten Dorothea wieder in die Realität zurück.
„Du weißt, dass ich nicht schwindelfrei bin. Wenn du so weitermachst, wird mir schlecht“, sagte sie.
Gustav hörte ihre Worte nicht. Er schwebte buchstäblich im siebten Himmel und erwachte erst, als Dorothea, nachdem die Musiker zu spielen aufgehört hatten, ihn bat, sie zu Marie Luise zurückzubringen.
Das Geburtstagskind saß allein auf dem Kanapee und starrte in ihr halbvolles Champagnerglas.
„Gleich“, sagte Gustav, „zuerst möchte ich kurz mit dir reden.“ Er drängte seine Begleiterin hinaus auf die Terrasse. Doch er kam nicht zu Wort.
„Deine Schwester ist eine sehr einsame junge Frau“, begann Dorothea.
„Halbschwester.“
„Ja, von mir aus. Ich mache mir Sorgen um sie. Sie hat mir anvertraut, dass all
Weitere Kostenlose Bücher