Die Tote von Schoenbrunn
Vera. „Mit ihrer lauten und distanzlosen Art erregen sie die Aufmerksamkeit der Männer. Sie wollen im Grunde nicht wirklich etwas von ihnen. Ich weiß, das klingt verrückt …“
„Du hast vollkommen Recht“, unterbrach Dorothea ihre Patentante. „Gleichzeitig erwecken solche Frauen mit ihrem kindlich naiven Verhalten den Beschützerinstinkt des Mannes. Und doch enttäuschen sie deren Erwartungen dann immer wieder.“
Gustav, der ihnen gegenübersaß, stellte sich schlafend, hörte ihnen aber aufmerksam zu. Er hielt sich für einen Kenner der Frauen, sah jedoch ein, dass er von den beiden Damen allerhand lernen konnte.
Als sie vor ihrer Haustür in den Hofstallungen angekommen waren, verabschiedete er sich ausgesucht liebenswürdig von ihnen und ließ sich von Edi ins Kaiserbründl in der Weihburggasse bringen.
Vor der Villa …
Vor der Villa des Grafen warteten edle Gespanne auf die hohen Herrschaften. Als die Baronesse von Engelsdorff ihren Wagen bestieg, erschrak sie. Doch dann erkannte sie den Mann, der im Inneren saß, trotz seiner schwarzen Maske und war durchaus gewillt, mit ihm eine kleine Tour zu machen.
Die Baronesse war eine Schönheit, aber nicht gerade die Klügste.
Ihr Gegenüber war eine imposante Erscheinung und äußerst charmant. Sie konnte nicht ahnen, von welch perversen Fantasien der Mann besessen war. Er malte sich aus, wie er mit dem Brieföffner, den er zuvor vom Schreibtisch des Grafen Batheny entwendet hatte, ihre zarte weiße Kehle durchtrennen und ihr dabei zusehen würde, wie sie verblutete. Ihren Kutscher würde er auch beseitigen müssen. Er tastete nach dem Dolch, der in der Schärpe seines orientalischen Kostüms steckte und eine geeignetere Waffe für sein Vorhaben war als der filigrane Brieföffner.
Als der Kutscher gerade losfahren wollte, trat der junge Baron von Engelsdorff an das Gefährt heran und bestand wortreich und leicht illuminiert darauf, seine Cousine, die Baronesse, nach Hause bringen zu dürfen. Sie habe es ihm versprochen.
Der maskierte Gentleman im Wageninneren protestierte so lang, wie er es für nötig hielt, und gab sich dann höhnisch lachend geschlagen, überließ dem Trottel von Engelsdorff sein Opfer.
22
Karl Konstantin traf fast zeitgleich mit Gustav im Kaiserbründl ein und begrüßte ihn mit den Worten: „Ich hab für heute genug von der Damenwelt! Meine Verlobte übertrifft sie alle an Extravaganz und Exzentrik. Ich glaub, ich sollte es mir noch mal gut überlegen, ob ich eine Verbindung mit so einer Xanthippe eingehen will.“
Lachend ließ sich der Erzherzog dann von einem schönen Jüngling beim Auskleiden helfen.
Gustav fand sowohl Karl Konstantins Bemerkung über seine Halbschwester unangenehm als auch die Männerhände, die sich an seiner Kleidung zu schaffen machten. Er schickte den hübschen Burschen, der ihm zu Hilfe geeilt war, weg und entledigte sich seiner Kleider selbst.
Nur wenige Gäste hatten Marie Luises hysterischen Anfall mitbekommen. Gustav wunderte sich, dass Stanzi bereits davon wusste, denn er war während der peinlichen Szene nicht im Saal gewesen.
Karl Konstantin hatte Gustav auf dem Kostümfest das Du-Wort angeboten. Doch Gustav fiel es nicht leicht, den Erzherzog so informell anzusprechen, obwohl er ihn in Gedanken längst Stanzi nannte. Die hohen Herrschaften verwendeten untereinander gerne ihre Spitznamen. Er würde also in Kauf nehmen müssen, dass der Erzherzog ihn in Zukunft Gustl nannte. Er tröstete sich damit, dass Stanzi mindestens ebenso blöd klang wie Gustl. Und im Grunde fühlte er sich höchst geschmeichelt, mit einem Angehörigen des Kaiserhauses auf so vertrautem Fuß zu stehen.
Das ehemalige Centralbad in der Weihburggasse war das einzige Bad in der Inneren Stadt und es war äußerst exklusiv. Zu den Stammgästen zählte auch der jüngste Bruder des Kaisers, Erzherzog Ludwig Viktor, der für seinen Schönheitssinn und seine Vorliebe für Männer berühmt und berüchtigt war.
Das Bad war in „Kaiserbründl“ umbenannt worden, nachdem es drei kaiserliche Majestäten aufgesucht hatten. Neben Kaiser Franz Joseph I. war Dom Pedro II., der Kaiser von Brasilien und Sohn der Habsburgerin Dona Leopoldina dort zu Gast gewesen. Er galt als Ästhet, war ein leidenschaftlicher Tänzer, förderte die Wissenschaften und war den geistigen Größen Europas sehr zugetan. Der dritte Herrscher, der das Centralbad bei seinem Besuch anlässlich der Weltausstellung 1873 aufsuchte, war kein Reformer und
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