Die Tote von Schoenbrunn
berühmte italienische Architekt, nach dessen Plänen das Äußere Burgtor errichtet worden war?
Obwohl es sich für gewöhnlich nicht gehörte, stieg sie erleichtert zu ihm in die Kutsche. Seine Hilfe beim Einsteigen lehnte sie ab.
Lächelnd bot er ihr seinen Platz an. Sie nahm dankend an, da ihr immer übel wurde, wenn sie mit dem Rücken zur Fahrtrichtung saß. Als der Cavaliere keine Anstalten traf, sich ihr gegenüber hinzusetzen, sondern neben ihr blieb, bereute sie ihren Leichtsinn augenblicklich.
Er hielt sich nicht lange mit Höflichkeitsfloskeln auf, presste sein Knie an ihres und flüsterte ihr Komplimente ins Ohr. Obwohl Dorothea die italienische Sprache und vor allem Latein ganz gut beherrschte, tat sie, als würde sie kein Wort verstehen, und rückte ein Stück von ihm weg. Er rutschte nach und umfing ihre Taille mit seinem Arm. Sie presste sich in die Ecke, doch er zog sie an sich und versuchte sie zu küssen.
Dorothea biss ihn empört in die Lippe und trat gleichzeitig mit dem spitzen Absatz ihres Schuhs heftig auf seine Zehen.
„Blödes Trampel! Was zierst dich denn so? Z’erst hast mir schöne Augen gemacht und jetzt stellst dich an wie die heilige Jungfrau“, schrie der Cavaliere sie an.
Verwundert schaute ihm Dorothea in die Augen. Plötzlich begann sie schallend zu lachen. Sie verstand nur die Hälfte seiner in breitestem Wienerisch vorgebrachten Schimpfworte, „läufige Hündin“ verstand sie sehr wohl.
„Cave canem“, stieß sie prustend hervor und versetzte ihm einen kräftigen Stoß, der ihn zu Boden beförderte. Als sie seines wütenden Blickes gewahr wurde, verging ihr das Lachen.
30
Am nächsten Tag kam es zu einem plötzlichen Wetterumbruch. Kalte Winde fegten über die Reichshaupt- und Residenzstadt, brachten Regen und später sogar Schneetreiben. Die Temperaturen sanken gegen null Grad.
Vera und Dorothea saßen am Küchentisch und schauten den Wassertropfen zu, die an die Fensterscheiben klopften.
Dorothea hatte ihrer Patentante bisher nichts von ihrem unseligen Abenteuer erzählt, da sie fürchtete, Vera würde sie für eine dumme Gans halten. Warum war sie bloß zu diesem Fremden in die Kutsche gestiegen? Nur weil er bei Graf Batheny zu Gast gewesen war, hieß das noch lange nicht, dass er vertrauenswürdig war. Sie ärgerte sich über ihren Leichtsinn.
Vera bemerkte, dass mit Dorothea etwas nicht stimmte. Auf ihre Nachfrage hin gestand sie ihr, dass sie in den letzten Tagen öfters das Gefühl gehabt hatte, verfolgt zu werden.
Vera schien beunruhigt und wollte wissen, was genau passiert sei.
„Nichts von Bedeutung. Ich habe mir bestimmt alles nur eingebildet“, schwächte Dorothea ihre Worte gleich wieder ab. Denn Vera hatte momentan andere Sorgen. Josefa litt seit ein paar Tagen unter Atemnot und rasselndem Bronchialhusten. Bei dem nasskalten Wetter nun hatte sich ihr Befinden rapide verschlechtert. Vera machte sich große Sorgen um sie. Dorothea hatte Josefa am Morgen ein wenig Brechwurz gegeben, damit sich der Schleim löste, und ihr geraten zu inhalieren. Vera schwor bei Bronchitis und Asthma auf Senfwickel für die Brust. Aber wenn sich Josefas Zustand nicht bald besserte, würden sie einen Arzt holen müssen.
Als sich Gustav am späten Vormittag zu den beiden Damen in die Küche gesellte und sich bei Dorothea erkundigte, ob sie am Abend noch gut nach Hause gekommen sei, wollte sie nicht lügen. Sie schilderte ihm und Vera nun ihr unangenehmes Erlebnis, bemühte sich jedoch, ihre Begegnung mit dem Cavaliere möglichst harmlos darzustellen, und betonte immer wieder ihre eigene Dummheit und ihren Leichtsinn.
Gustav bekam einen Wutanfall, als sie erwähnte, dass der falsche Italiener sie zu küssen versucht hatte. Er sprang auf und schrie: „Ich bringe ihn um!“
„Bitte beruhige dich, Gustl, es ist mir ja nichts passiert. Ich bin schon mit ihm fertiggeworden. Ich hab die Laterne auf meiner Seite aus der Halterung gerissen und sie diesem Falotten auf den Kopf geschlagen, als er sich erneut auf mich stürzen wollte. Er ist umgekippt und seine Stirn hat geblutet. Ich hab das Fenster aufgerissen und dem Kutscher befohlen, anzuhalten. Entweder ist der Kerl mit dem Cavaliere unter einer Decke gesteckt oder er hat mich wirklich nicht gehört. Ich hab großes Glück gehabt, der Wagen ist gerade langsamer geworden, weil wir auf die Mariahilfer Straße eingebogen sind, und ich bin einfach rausgesprungen. Habe mir nur ein paar Prellungen und blaue Flecken
Weitere Kostenlose Bücher