Die Tote von Schoenbrunn
im Laufe der Jahre zum Liebling des Wiener Hofes, starb aber im zarten Alter von einundzwanzig Jahren.
„Kommen Sie bitte weiter, Euer Hochwohlgeboren.“ Josef zeigte ihm als Nächstes das Schlafzimmer von Kaiserin Maria Theresia.
„Im Ehebett Ihrer Majestät hat übrigens einst auch Napoleon höchstpersönlich geschlafen. Und sein Sohn ist in diesem Bett gestorben.“
„Die Privatgemächer Seiner Majestät befinden sich ebenfalls hier oben, nehme ich an?“, Gustav blickte den alten Diener fragend an.
„Sie ermitteln in der Mordsache, hat mir der Herr Graf gesagt. Deshalb würden Sie wohl gern den Ort der schrecklichen Tat näher in Augenschein nehmen, nicht wahr?“
„Ich will keinesfalls, dass Sie Ärger bekommen …“
Der Diener deutete Gustav zu warten. Er öffnete alle Türen, auch eine Tapetentür, die Gustav gar nicht bemerkt hatte, und warf einen Blick in die angrenzenden Räume.
„Wir sind allein“, sagte er leise und ging raschen Schrittes voran.
Neugierig betrat Gustav das Schlafzimmer Seiner Majestät. Seine hohen Erwartungen wurden nicht erfüllt. Der alte Kaiser verbrachte seine einsamen Nächte in einem einfachen Militärbett.
Das Toilettezimmer der Kaiserin war erst recht eine einzige Enttäuschung für ihn. Kein Badezimmer, kein Wasserklosett, keine Elektrizität. Und auch keine Spuren der Mordtat mehr. Die Badewanne war entfernt und die Wände mittlerweile gesäubert worden. Er bildete sich ein, dass die Maiglöckchen auf den Tapeten nach wie vor leicht rosa schimmerten. Auf ihrem Frisiertisch war entweder nichts durcheinandergebracht oder alles von fleißiger Hand wieder in Ordnung gebracht worden. Bürsten, Kämme, Haarspangen und Spiegel lagen in Reih und Glied nebeneinander. Jedermann im Reich wusste, dass die Pflege des prachtvollen Haares der Kaiserin täglich mehrere Stunden in Anspruch genommen hatte.
Gustav schloss die Augen und sogleich tauchte das Bild der jungen Kaiserin mit langem offenem Haar, in dem kleine Diamantsternchen blitzten, vor ihm auf.
„Gibt es einen geheimen Zugang zu diesem Zimmer?“, fragte Gustav.
Ein verschmitztes Lächeln erschien auf den schmalen Lippen des Dieners.
„Nicht einmal ich, der ich schon über dreißig Jahre hier arbeite, wage zu behaupten, alle Geheimtüren und Hintertreppen in diesem Schloss zu kennen.“
„Ich begreife nicht, wie die Gräfin von Reichenbach in diese Räumlichkeiten gelangen konnte, ohne bemerkt zu werden.“
„Sie war eine der Hofdamen und kannte sich in den Gemächern Ihrer Majestät gut aus.“
„Dennoch, sie muss mindestens eine Mitwisserin oder einen Helfer gehabt haben. Ich kann mir nicht vorstellen, dass sie sich selbst das Wasser heiß gemacht hat. Außerdem sehe ich hier keinen Herd.“
„In diesem Schloss gibt es nicht nur unzählige geheime Stiegenhäuser und Gänge, sondern auch viele unsichtbare gute Geister.“
„Vielleicht kennen Sie sogar den Namen dieses einen guten Geistes?“
„Ich möchte nicht indiskret sein.“
„Diskretion ist in diesem Fall ein Luxus, den wir uns nicht leisten können.“ Gustav hatte seinen Worten einen etwas schärferen Ton verliehen.
„Es sind gewisse Gerüchte in Umlauf. Küchenklatsch, besser gesagt.“
„Egal. Erzählen Sie, was Sie gehört haben.“
„Eine der neuen Zofen ist kurz nach dem Skandal mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt worden.“
„Damit die Wahrheit nicht ans Licht kommt“, murmelte Gustav und sagte laut: „Ich muss unbedingt mit dieser Zofe sprechen.“
„Ich kenne leider nur ihren Vornamen. Alle nannten sie Marie. Ich habe gehört, dass man sie zurück in ihre Heimat geschickt hat. Ich glaube, sie kam aus Galizien, oder war es die Walachei? Ich weiß es leider nicht mehr.“
„Verdammt“, fluchte Gustav. Entschuldigte sich sogleich bei dem Alten, der bei seinem zornigen Ausruf zusammengezuckt war.
„Diese Bestie muss sich am Hof gut ausgekannt haben, außer die Zofe hat den Mörder durch die Geheimgänge in die kaiserlichen Räume geführt. Vielleicht hatte er ein Tête-à-tête mit der Gräfin Reichenbach? Kommen Sie schon, Josef, was munkelt man unter der Dienerschaft? Ihnen sind bestimmt alle möglichen Vermutungen, was den Täter betrifft, zugetragen worden. Ich gebe Ihnen mein Wort als Ehrenmann, dass alles, was wir beide besprechen, unter uns bleibt.“
Der alte Mann erblasste. Schweißperlen erschienen auf seiner Stirn.
„Sie brauchen keine Angst zu haben. Sehen Sie hier irgendeinen Zeugen für
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