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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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geholt. Es ist halb so schlimm.“
    „Er wird dafür bezahlen!“, rief Gustav.
    „Sei nicht so theatralisch. Ich glaube, es wird genügen, wenn wir überall herumerzählen, dass dieser allseits beliebte Cavaliere höchstwahrscheinlich kein italienischer Adeliger ist, sondern ein Hochstapler aus Ottakring oder Hernals.“
    „Nein! Das genügt mir nicht. Ich werde ihn mir vorknöpfen.“
    „Willst du dich etwa mit ihm duellieren?“, fragte Vera.
    „Sicher nicht, denn dieses Schwein ist nicht satisfaktionsfähig. Ich werde ihn einfach verprügeln, sein hübsches Gesicht zu Brei schlagen …“
    „Ach, hör auf, Gustav, ich bekomme Kopfweh, wenn ich dich so reden höre.“
    Wenig später entschuldigte sich Vera. Sie hatte tatsächlich Kopfschmerzen und wollte sich ein bisschen hinlegen.
    „Du wirst uns doch nicht auch noch krank werden“, sagte Gustav.
    „Du siehst ganz blass aus“, warf Dorothea besorgt ein.
    „Heuer ist es schon zu spät, aber nächstes Jahr schick ich die beiden wieder auf den Semmering“, meinte Gustav, nachdem Vera die Tür hinter sich geschlossen hatte. „Die reine Luft dort oben tut ihnen beiden gut. Vera sitzt jahrein, jahraus an ihrem Schreibtisch und kommt fast nie an die frische Luft. Wovon rede ich da eigentlich? Frische Luft ist echt Mangel­ware in Wien. All der Dreck und Staub in der Stadt werden vor allem Josefa eines Tages den Garaus bereiten.“
    Viele Künstler flüchteten sich schon seit Jahren in den heißen Sommermonaten auf den Semmering. Dank der von Ritter von Ghega errichteten Semmeringbahn war diese Bergwelt vor den Toren Wiens gut und schnell erreichbar. Das reiche Großbürgertum und so manche Adelige folgten den Künstlern. Wahre Traumschlösser und Märchenvillen waren mittlerweile dort errichtet worden.
    „Leider ist so eine Sommerfrische für verarmte Adelige wie uns heutzutage kaum mehr erschwinglich. Die wohlhabende Wiener Gesellschaft hat den Semmering für sich erobert.“
    „Ich werde lieber nach ihr sehen“, unterbrach ihn Dorothea.
    Sie klopfte kurz an die Tür von Veras Zimmer und trat ohne Aufforderung ein.
    „Das darf nicht wahr sein! Hab ich’s mir doch gedacht. Jetzt lass endlich deine Schreibmaschine in Ruh. Du wolltest dich hinlegen, hast du gesagt“, hörte Gustav sie mit ihrer Patentante schimpfen.
    Er wollte sich gerade aus dem Staub machen, als er erneut Dorotheas energische Stimme vernahm.
    „Gustav, komm sofort her und heiz den Kachel­ofen ein!“
    „Kann das nicht Josefa machen?“
    „Die ist krank, hast du das schon wieder vergessen?“
    „Es ist kein Holz mehr da.“
    „Dann hol welches aus dem Keller.“
    Widerspruch war zwecklos. Er tat wie ihm befohlen, zündete eine Petroleumlampe an und ging in den Keller, der unangenehm feucht war. Hoffentlich würde das Holz überhaupt brennen?
    Als er mit einem großen Stapel Holzscheiter und einer alten Zeitung in den Armen das Zimmer betrat, kniete Dorothea gerade auf Veras wuchtigem Schreibtisch, der auf einem Podest direkt vor dem Fenster stand, und stopfte zwei Wolldecken zwischen die äußeren und inneren Scheiben des Doppelfensters. Versunken in den entzückenden Anblick ihres wohlgerundeten Hinterteils blieb er mitten im Zimmer stehen.
    Dorothea drehte sich zu ihm um.
    „Was gibt es da blöd zu gaffen? Eure Fenster sind alle undicht und Zugluft ist pures Gift für Vera. Ich fürchte, sie brütet einen schrecklichen Katarrh aus.“
    Relativ hilflos sah Gustav in den nächsten Tagen dabei zu, wie Dorothea seine Tante und Josefa liebevoll pflegte. Vera fieberte, schnupfte und hustete fast genauso schlimm wie sein altes Kindermädchen. Dorothea befürchtete, dass sie sich nicht nur eine schwere Erkältung zugezogen hatte, sondern eine richtige Grippe, da sie auch über Gelenkschmerzen klagte.
    Trotz ihres erbärmlichen Zustands setzte sich Vera tagsüber manchmal an ihre Schreibmaschine. Unzählige Manuskripte und Bücher türmten sich vor ihr auf und raubten ihr die Sicht auf die Straße vor den Hofstallungen. An drei Wänden ihres Zimmers reichten die Bücherregale bis an die Decke. Seit sie krank war, stapelten sich die Bücher auch auf ihrem Bett. Sie war schwach. Länger als ein, zwei Stunden verbrachte sie kaum an ihrem Schreibtisch, dafür sorgte ihre resolute Patentochter.
    Doktor Lipschitz, der Hausarzt von Graf Batheny, schaute jeden zweiten Tag auf eine kurze Visite in den Hofstallungen vorbei. Als der Graf selbst anfragte, ob er einen Krankenbesuch machen dürfe,

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