Die Tote von Schoenbrunn
lehnte Vera energisch ab.
„Der fehlt mir gerade noch“, sagte sie.
Gustav hatte Sorge, sich anzustecken. Er flüchtete so oft wie möglich aus dem Krankenlager in seinen vier Wänden. Auf Dorothea war Verlass. Sie umsorgte die beiden Kranken Tag und Nacht und war bald selbst schon ganz blass und hohlwangig.
„Du warst jetzt fast eine Woche lang nicht draußen, Kind. Warum besuchst du morgen nicht wieder einmal Marie Luise? Gustav hat mir versprochen, zu Hause zu bleiben und sich notfalls um uns zu kümmern“, sagte Vera eines Tages und sah ihren Neffen mit ihren grauen Augen so streng an, dass er keine Widerrede wagte.
Zwar protestierte Dorothea und beteuerte, dass es ihr nicht das Geringste ausmache, bei dem scheußlichen Wetter in der Wohnung zu bleiben, doch Gustav fühlte sich dadurch erst recht bemüßigt zu beteuern, dass er gern mal einen ruhigen Tag daheim verbringen würde.
Zu Mittag kochte er nach Josefas Rezept sogar eine Hühnersuppe für die beiden. In Josefas Kabinett stand kein Ofen, aber er sorgte dafür, dass das Feuer im Kohleofen in der Küche nicht ausging, und ließ die Tür zur Kammer offen.
Am Abend traf er sich mit seinem Freund Rudi und klagte ihm sein Leid wegen des Lazaretts zu Hause. Artig verlieh Rudi seiner Sorge um Veras Gesundheitszustand Ausdruck, brachte das Gespräch aber bald auf ein erfreulicheres Thema. Er hatte die Adresse von zwei netten Mädeln in der Tasche, die sich eine Wohnung in der Nähe der Gürtelstraße teilten, und wollte Gustav überreden mitzukommen, betonte, dass die jungen Frauen sehr anständig waren und sich ihren Lebensunterhalt als Perückenmacherinnen verdienten.
„Ich weiß nicht recht. Dorothea ist allein mit den beiden Kranken. Ich sollte besser ihr Gesellschaft leisten.“
„Du bist verliebt in diesen Blaustrumpf, gib’s zu.“
Gustav sah seinen Freund lange an.
„Ja, es ist mir ernst mit ihr. Du kannst dir nicht vorstellen, wie aufregend und zugleich quälend es für mich ist, die Wohnung mit dieser wunderschönen, klugen Dame zu teilen. Ich darf ihr nicht den Hof machen, geschweige denn, sie anfassen … Seit Monaten schlafe ich schlecht. Und träume regelmäßig von ihr. Die Gedanken an sie quälen mich also Tag und Nacht. Ich sehe ihren nackten Körper vor mir, sehe ihre hohen Brüste, ihre schlanke Taille und ihre weichen Schenkel. Jede Nacht sterbe ich fast vor Sehnsucht nach ihren sinnlichen Lippen und ihren wollüstigen Blicken, die ich mir natürlich nur einbilde. Denn ich fürchte, sie hat absolut nichts für mich übrig.“
Rudi lauschte den Worten seines Freundes mit fast verzücktem Gesichtsausdruck. Seine hellen Augen funkelten leidenschaftlich. Gustav brach abrupt ab. Er wusste, dass sein Freund besessen war vom weiblichen Geschlecht, ihm gefielen alle Frauen, egal ob dick oder dünn, alt oder jung. Er wollte seine erotischen Empfindungen mit weiteren Schilderungen nicht noch mehr anheizen. Allerdings hatte ihn das Gespräch über Dorothea selbst so erregt, dass er nun gewillt war, Rudi zu begleiten.
Im Dunkeln hantelten sie sich das Stiegengeländer hinunter ins Souterrain eines Hauses in der Thaliastraße. In der Ein-Zimmer-Wohnung empfing sie trostlose Leere. Am Boden lag ein zerschlissener Läufer. Hinter einem halb geschlossenen Vorhang befand sich eine Kochnische, jedoch kein Kochgeschirr. An den schmutzigen, gelb getünchten Wänden hingen weder Bilder noch Fotografien. Es waren auch keinerlei persönliche Sachen zu sehen. Nur auf dem Bett lagen ein paar Kleidungsstücke. Der Rest des Interieurs bestand aus einem Waschtisch, einem Holzstuhl und einem wackeligen Tischchen unter der Oberlichte, auf dem eine Petroleumlampe leuchtete. Ihr fahles Licht ließ unheimliche Schatten an den Wänden tanzen. Das schmale Fenster ging auf einen Lichthof hinaus.
Gustav hatte den Verdacht, dass die beiden Perückenmacherinnen nicht hier wohnten, sondern den Raum stundenweise mieteten. Offensichtlich war Rudi wieder einmal geheimen Prostituierten auf den Leim gegangen. Da Gustav panische Angst vor der Ansteckung mit einer venerischen Krankheit hatte, seit ihm Vera die „Psychopathia sexualis“ von Doktor Krafft-Ebing auf sein Nachtkästchen gelegt hatte, verlor er sogleich jegliches Interesse an einem Schäferstündchen.
Während sich Rudi von dem faulen Zauber der feschen Milli betören ließ, verabschiedete sich Gustav unter dem Vorwand, dass er sich nicht gut fühle.
„Ich glaube, ich werde krank. Habe mich bei
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