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Die Tote von Schoenbrunn

Die Tote von Schoenbrunn

Titel: Die Tote von Schoenbrunn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edith Kneifl
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Wangen.
    „Du siehst gut aus“, sagte Gustav.
    „Ich habe Marie Luise, trotz des leichten Schneefalls, heute Nachmittag zu einem kleinen Spaziergang im Schlosspark überredet. Obwohl sie sich anfangs über die schreckliche Kälte beklagt hat, war sie dann doch begeistert von all der frisch verschneiten Pracht. Wir sind zuerst die Lichte Allee entlang und dann weiter bis zum Taubenhaus. Ich hatte in der Villa deines Vaters um ein Stück altes Brot gebeten, wollte die armen Tiere füttern. In der prunkvollen Voliere war weder ein Tümmler Kiebitz noch ein Ganselkröpfer, nicht einmal ein Fluggansel. Auch in den gemauerten Nischen, in denen sie normalerweise schlafen, haben sie sich nicht versteckt. Weißt du, wohin man sie im Winter bringt?“ Sie erwartete keine Antwort, sprach aufgeregt weiter. „Danach sind wir zum Neptunbrunnen hin­überspaziert. Der Gott des Meeres hat jetzt einen lustigen weißen Schnurrbart und an seinem Dreizack hängen kleine Eiszapferl. Die Meeresgöttin Thetis, die zu seiner Rechten kniet, hat schneeweißes Haar, genauso wie die Nymphe zu seiner Linken. Marie Luise begann zu lachen, als wir den schmalen Schlangenweg hinunter zum zweiten Najadenbassin sind. Die Quell- und Wassergeister hatten auch alle hübsche Schneehäubchen auf. Sie haben ziemlich dumm aus der Wäsche geschaut. Wenn uns jemand beobachtet hat, wie wir lachend durch die Irrgartenallee gestapft sind, muss er uns für zwei Verrückte gehalten haben. Aber als in der Ferne plötzlich ein Mann auftauchte, ist Marie Luise das Lachen vergangen. Sie hat meinen Arm genommen und ist schnellen Schrittes mit mir die finstere Allee entlang zum Hietzinger Tor gelaufen. Wir sind richtig gerannt. Ich glaube, sie fürchtet sich momentan vor jedem männlichen Wesen, außer vor ihrem Vater und dir und Karl Konstantin.“
    Gustav wäre bei der Schilderung ihres kleinen Ausflugs beinahe eingenickt. Dorothea ließ ihn nicht schlafen, redete wie aufgezogen weiter, teilte ihm ihre neuesten Erkenntnisse, was die Beziehung zwischen Marie Luise und Karl Konstantin betraf, mit: „Sie liebt ihn nicht, glaub mir. Deshalb ist sie einer Heirat bis jetzt auch aus dem Weg gegangen. Obwohl ihr bewusst ist, dass tout Vienne auf ihre Hochzeit mit dem Erzherzog wartet, gibt sie ihm immer wieder einen Korb. Und ich kann sie verstehen. Ich finde Karl Konstantin auch nicht sehr sympathisch. Er ist so von sich selbst eingenommen, einen solchen Mann kann eine feinfühlige Frau wie Marie Luise nicht lieben.“
    Auf den verschneiten Straßen der Vorstadt war nicht viel Verkehr. Im dichten Schneetreiben war die Sicht so miserabel, dass Edi vom Kutschbock steigen und sein Gespann am Zügel durch die Gassen führen musste. Dorothea hatte endlich zu reden aufgehört, lehnte sich ebenfalls in ihren Sitz zurück und schaute Gustav unverwandt an.
    Angenehme Stille. Der frische Schnee, weich wie Watte, schluckte fast jedes Geräusch.
    Mit der Fuchsstola sah Dorothea richtig mondän aus, fand Gustav.
    Er schloss die Augen und malte sich aus, wie ihre kleine Zunge ihre Lippen umspielte und ihre schönen graublauen Augen ihn bewundernd ansahen. Er träumte wieder davon, wie sie sich ihm hingab, voller Lust und Leidenschaft, zugleich schüchtern und ängstlich, wie es sich eben für eine Jungfrau geziemte. Dass Dorothea, trotz ihrer fünfundzwanzig Jahre, jungfräulich war, stand für ihn fest.
    Sich ihres unverhohlen bewundernden Blickes sicher, riss er die Augen auf und starrte sie voller Verlangen an.
    Weder Bewunderung noch Begehren lag in ihrem Blick, eher eine leise Besorgnis.
    „Du bist andauernd müde in letzter Zeit. Hoffentlich bekommst du nicht auch die Grippe.“ Ihre prosaischen Worte ernüchterten ihn schlagartig.
    Als sie vor dem Tor der k.k. Hofstallungen an­kamen, hielt die Kutsche plötzlich an. Gustav wunderte sich, denn normalerweise ließen die Wachen Edi anstandslos passieren. Er öffnete das Fenster und wollte gerade fragen, warum er stehen geblieben war, als er den kleinen Menschenauflauf in der Einfahrt erblickte.
    „Bleib sitzen“, sagte er zu Dorothea und verließ den Wagen.
    Das Kleiderbündel in der Einfahrt bewegte sich nicht, obwohl ihm einer der Stallknechte ein paar heftige Tritte verpasste.
    Gustav befahl ihm, sofort aufzuhören.
    „Gesindel, elendiges“, schimpfte der Portier.
    „Die ist sternhagelvoll, Euer Hochwohlgeboren“, mischte sich einer der Stallburschen ein.
    Gustav beugte sich über die alte Frau. Er ahnte, dass es sich

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