Die Toten befehlen
Verurteilte beiwohnten, die prächtige Kleidung der Ritter und Schergen, die glänzende Reiterabteilung an der Spitze des Zuges und die Frömmigkeit der Menge, die sonst ihr Mitleid äußerte, wenn ein Bösewicht zum Galgen geführt wurde, aber für diese Feinde Gottes nur Abscheu zeigte. An jenem Tage erwies sich so recht, nach der Meinung des gelehrten Jesuitenpaters, auf wessen Seite der göttliche Beistand wirkte. Die zahlreiche Geistlichkeit marschierte in der Prozession, voll von Freude und Begeisterung, und ohne die geringste Ermüdung wiederholte sie ihre Gebete und Litaneien. Die elenden Verbrecher aber schleppten sich bleich und niedergeschlagen dahin. Wie gut ließ sich hieraus erkennen, in wessen Seele der himmlische Trost lebendig war!
Die Verurteilten wurden bis zum Fuß der Burg Bellver geführt, wo die Verbrennungen stattfinden sollten. Der Marquis von Leganes, Generalgouverneur der spanischen Inseln, der zufällig mit seiner Flotte im Hafen von Mallorca lag, war durch die Anmut und Schönheit einer jungen Chueta so gerührt, daß er ihre Begnadigung erbat. Das heilige Inquisitionstribunal lobte die christlichen Gefühle des Marquis, wies aber seine Fürbitte zurück!
Pater Garau sollte Raffael Valls zum Tode vorbereiten. Er bezeichnet ihn im ›Triumphierenden Glauben‹ als einen Mann von großer Gelehrsamkeit, aber vom Teufel war ihm ein maßloser Hochmut eingeflößt. Er verfluchte die Richter, die ihn zum Tode verurteilt hatten, und weigerte sich hartnäckig, sich mit der heiligen Kirche zu versöhnen. Doch wie kläglich, erzählt der Jesuit weiter, brach dieser Mut in der Todesnot zusammen, und wie erhebend erschien demgegenüber die gelassene Ruhe des Priesters, der den Sünder bis zur letzten Minute ermahnte.
»Der Jesuitenpater«, flocht der Kapitän ein, »war ein Held, in sicherer Entfernung von dem Flammenmeer. Jetzt sollen Sie hören, mit welchem frommen Gemüte er den Tod meines Vorfahren schildert.«
Valls öffnete sein Büchlein da, wo ein Lesezeichen lag, und las langsam vor:
»Solange nur der Rauch vom Feuer ihn erreichte, blieb er unbeweglich wie eine Statue. Als aber die Flammen näherkamen, machte er gewaltige Anstrengungen, um sich loszureißen, bis sich seine Kräfte erschöpften. Er war so fett wie ein Mastferkel und verbrannte von innen heraus. Bevor noch das Feuer seinen Körper berührte, erglühte sein ganzes Fleisch. Er platzte auf, und die Gedärme fielen heraus wie die von Judas: crepiut medius, difusa sunt omnia viscera ejus.«
Die Schilderung dieser barbarischen Vorgänge verfehlte ihre Wirkung nicht. Man hörte kein Lachen mehr. Die Gesichter wurden finster. Der Kapitän Valls ließ seine Augen im Kreise herumgehen, befriedigt, als hätte er einen Sieg davongetragen.
Als Jaime Febrer sich auch einmal unter den Zuhörern befand, sagte ihm Valls mit grimmiger Stimme:
»Du warst auch zugegen, das heißt, du selbst nicht. Aber einer deiner Vorfahren, ein Febrer, trug die grüne Fahne des heiligen Tribunals, und die Damen deiner Familie fuhren in ihren Staatskarossen zur Burg, um der Verbrennung beizuwohnen.«
Don Jaime, dem diese Erinnerungen nicht gefielen, zuckte mit den Schultern:
»Alte Geschichten! Wer denkt noch daran? Höchstens irgendein Narr wie du. Erzähle uns lieber von deinen Erfolgen bei den Frauen.«
Der Kapitän brummte ... »Alte Geschichten? Die Seele von Mallorca ist heute noch dieselbe wie in jenen Zeiten. Der religiöse Haß und die Rassenfeindschaft sind noch immer lebendig. Nicht umsonst leben wir völlig abseits von der Welt, auf einem Stückchen Erde, rings vom Meer umgeben.«
Bald aber war Valls wieder guter Laune, und wie alle, die durch die ganze Welt gekommen sind, konnte er der Aufforderung nicht widerstehen, von seinen Abenteuern zu erzählen.
Febrer machte es Vergnügen, ihm zuzuhören. Hinter beiden lag eine bewegte und kosmopolitische Vergangenheit, so ganz verschieden von dem monotonen Leben ihrer Landsleute. Beide hatten Geld mit vollen Händen ausgegeben, mit dem einzigen Unterschiede, daß Valls mit dem angeborenen Geschäftssinn seiner Rasse es verstanden hatte, auch Geld zu verdienen. Heute, zehn Jahre älter als Don Jaime, besaß er ein kleines Vermögen, von dessen Zinsen er einfach aber sorgenfrei leben konnte. Nur für alte Freunde, dieihm von fernen Häfen schrieben, machte er noch dann und wann ein größeres Geschäft.
Seine Schilderungen von Orkanen, Seenot, Hunger und Meuterei interessierten Febrer nicht, nur
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