Die Toten befehlen
von Mallorca, deren jüdische Herkunft feststand, waren die Nachkommen der Familien, denen durch die Inquisition der katholische Glauben aufgezwungen wurde.
Chueta sein, aus der Judengasse stammen, bedeutete das Schlimmste, was einem Bewohner von Mallorca begegnen konnte. Wohl wurde später in Spanien durch liberale Gesetze die Gleichheit aller Staatsbürgeranerkannt. Ging der Chueta von Mallorca nach der Pyrenäenhalbinsel, so genoß er dort dieselben Rechte wie jeder andere Bürger. Auf seiner Insel aber blieb er ein Verfehmter. Es machte keinen Unterschied, ob er reich war wie der Bruder des Kapitäns Valls oder klug und tüchtig wie manche andere.
Viele Chuetas, die nach Spanien auswanderten, hatten dort Rang und Würden erworben, im Heer oder in der Verwaltung. Anderen war es gelungen, ein großes Vermögen anzuhäufen. Bei ihrer Rückkehr nach Mallorca machten sie die Erfahrung, daß der letzte Bettler sich ihnen überlegen dünkte und sich für berechtigt hielt, sie und ihre Familien zu schmähen. Die Isolierung, in der sich dieses vom Meer umgebene Stückchen Spanien befand, hatte es vermocht, den Geist vergangener Jahrhunderte unberührt zu erhalten.
Vergeblich beteten die Chuetas in ihren Häusern die Litaneien mit lauter Stimme, um von Nachbarn und Vorübergehenden gehört zu werden, ähnlich ihren Vorfahren, die den Braten auf das Fensterbrett stellten als Beweis, daß sie Schweinefleisch aßen. Der traditionelle Haß bestand weiter. Die katholische Kirche blieb grausam und unzugänglich. Den Söhnen von Chuetas waren die geistlichen Seminare verschlossen. Kein Nonnenkloster nahm eine Novize aus der Judengasse auf. Die Töchter von Chuetas konnten sich in Spanien mit hervorragenden Männern verheiraten. Auf Mallorca fand sich schwerlich ein Christ, der ihre Hand und ihren Reichtum angenommen hätte.
»Schlimme Menschen«, fuhr Don Pablo ironisch fort, »arbeitsam und sparsam, leben sie friedlich im Schoße ihrer Familie und sind katholischer als dieandern. Aber sie sind Chuetas, und irgend etwas muß doch vorhanden sein, daß man sie so haßt. Sie haben in der Tat einen verborgenen Defekt!«
Und der Kapitän erzählte lachend von den einfältigen Bauern, die noch bis vor gar nicht langer Zeit glaubten, daß die Chuetas einen Schwanz trügen. Mehr als einmal hatten sie ein Kind aus der Judengasse ausgezogen, um das Schwänzchen zu sehen.
»Und mein Bruder!« fuhr Pablo Valls fort, »mein frommer Bruder Benito, der vor jedem Heiligenbild niederkniet!«
Alle lachten, denn sie wußten, worauf der Kapitän anspielte. Als Don Benito Valls ein kleines, neu erworbenes Gut im Innern der Insel zum ersten Male besuchte, rieten ihm die Nachbarn, nicht im Hause zu übernachten, denn seit Menschengedenken hatte kein Chueta im Dorfe geschlafen. Don Benito aber blieb. Als er erwachte, kam es ihm vor, als hätte er wenigstens zwölf Stunden Schlaf hinter sich. Trotzdem war es um ihn tiefe Nacht. Nicht der kleinste Lichtstrahl drang durch die Spalten der Jalousien. Er öffnete ein Fenster, um hinauszusehen, und schlug mit dem Kopfe heftig an. Er versuchte die Tür zu öffnen. Vergeblich! Während er schlief, hatten die Dorfbewohner sämtliche Fenster und Türen vermauert, und dem Chueta blieb nichts übrig, als sich unter dem Gelächter der Bauern vom Dach herunterzulassen. Diese Probe genügte ihm. Er trug kein Verlangen, in einer anderen Nacht vielleicht unter Flammen aufzuwachen.
Beim Tode des Vaters hatte Don Benito, als der ältere, die große Handelsfirma übernommen, wobei sein Bruder Pablo um viele Tausende von Duros zu kurz gekommen war.
»Das kommt bei euch ja auch vor«, sagte der Kapitän sarkastisch, »bei Erbschaften gibt es weder Rasse noch Credo. Geld kennt keine Religion.«
Manchmal kam Pablo Valls auch auf die unaufhörlichen Verfolgungen der Vergangenheit zu sprechen. Der geringste Vorwand genügte, um die Judengasse zu überfallen. Wenn die Bauern Konflikte mit den adligen Grundbesitzern hatten und bewaffnet in Palma eindrangen, so war das Ende stets, daß beide Parteien zum Stadtviertel der Chuetas zogen, niedermetzelten, was sich zur Wehr setzte, und die Läden ausraubten. Erhielt ein auf Mallorca stationiertes Bataillon Befehl, sich nach Spanien einzuschiffen, um an einem Kriege teilzunehmen, so meuterten die Soldaten, verließen ihre Kaserne und plünderten die Judengasse. Blieben bei einer Revolution in Spanien die Reaktionäre siegreich, so stürmten ihre Anhänger in Palma die Häuser
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