Die Toten befehlen
Jesus, Petrus und andere Heilige, die man auf den Altären hier verehrt. Die Butifarras von Mallorca sind stolz auf ihre Ahnen, zählen aber nur nach Jahrhunderten. Ist mein Blut nicht edler? Ist meine Familie nicht älter? Mein Stammbaum geht zurück auf die Patriarchen der Bibel. Überhaupt die ganze Abstammung der Spanier! Alle sind Nachkommen von Mauren oder von Juden, und wer das nicht ist ...«
Hier hielt er inne und fügte nach einer kurzen Pause mit Nachdruck hinzu:
»Ja, der ist Abkömmling von einem Pfaffen.«
Auf der Pyrenäenhalbinsel kennt man nicht den traditionellen Haß gegen die Juden, der noch heute die Bevölkerung von Mallorca in zwei Klassen teilt. Pablo Valls faßte die Wut, wenn er von seiner Heimatinsel sprach. Die jüdische Konfession existierte überhaupt nicht mehr. Die letzte Synagoge war vor Jahrhunderten zerstört worden. Wer von den Juden damals nicht zum Katholizismus übertreten wollte, wurde durch die Inquisition verbrannt. Die Chuetas von heute gehörten zu den eifrigsten Katholiken von ganz Mallorca. Den ihrer Rasse eigenen Fanatismus zeigten sie auch in dem neuen Glauben. Die Begüterten unter ihnen waren immer Parteigänger der reaktionären Konservativen. Und trotzdem war dieselbe Antipathie wie vor Jahrhunderten gegen sie lebendig. Sie blieben isoliert, und keine soziale Klasse wollte irgendwie Verbindung mit ihnen eingehen.
»Seit vierhundertundfünfzig Jahren«, fuhr Pablo Valls fort, »werden wir mit Weihwasser getauft. Doch immer noch sind wir die Verfluchten, die Verworfenen, wie vor dem Übertritt. Ist das nicht ein grausamerWitz? ... Auf Mallorca gibt es eben zwei Arten von Katholizismus, eine für uns Chuetas, die andere für euch.«
Für das Verhalten der Angehörigen seiner Rasse hatte Don Pablo nicht das geringste Verständnis:
»Diesen Feiglingen geschieht ganz recht. Warum hängen sie mit solcher Liebe an dieser Insel, auf der das Chorhemd die Herrschaft führt. Um auf Mallorca bleiben zu können, haben sie ihren Glauben gewechselt, und heute, wo sie wirklich Christen sind, bezahlen sie diese Dummheit doppelt und dreifach. Warum blieben sie nicht Juden und zerstreuten sich über die ganze Welt, wie es andere getan haben? Dann wären sie heute angesehen, reich, vielleicht Bankiers von Königen. Statt dessen sitzen sie weiter in ihren Läden in der Judengasse und fabrizieren silberne Handtaschen.«
In religiöser Hinsicht war der Kapitän ein großer Zweifler und griff alles an: die Juden, die ihrem alten Glauben treu geblieben waren, die Übergetretenen, die Katholiken, die Mohammedaner, mit denen ihn seine Reisen an den afrikanischen Küsten und in Kleinasien viele Jahre lang zusammengeführt hatten. Dann wieder gab es bei ihm Momente, in denen er eine gewisse Achtung vor seiner Rasse zeigte. Er war Semit und erklärte voller Hochmut:
»Wir sind das erste Volk der Welt. Solange wir in Asien waren, starben wir vor Hunger, und die Läuse fraßen uns auf, denn es gab niemanden, mit dem wir handeln oder dem wir Geld leihen konnten. Trotzdem aber haben wir der Menschenherde die Führer gegeben, die noch in kommenden Jahrhunderten ihren Einfluß ausüben werden.«
Temperamentvolle Betrachtungen wie diese stellte der Kapitän öfter an, und immer wußte er durch die Schärfe seines Geistes, die Ehrlichkeit seiner Kritik einen nachhaltigen Eindruck bei seinen Zuhörern zu hinterlassen. Er sprach schonungslos, jederzeit aber auch vom Gedanken des Fortschritts bestimmt.
Die Geschichte der Juden auf Mallorca faßte Pablo Valls in wenigen Worten zusammen. Ursprünglich gab es auf der Insel viele, sehr viele Juden. Ein großer Teil des Handels befand sich in ihren Händen, und zahlreiche Kauffahrteischiffe gehörten ihnen. Die Febrer und andere christliche Fürsten nahmen keinen Anstoß daran, gemeinsame Geschäfte mit ihnen zu machen. Das waren die Zeiten der Freiheit. Die Verfolgung mit ihren barbarischen Greueln gehörte einer jüngeren Epoche an. Damals fand man Juden als Schatzmeister und Leibärzte der spanischen Höfe. Als dann der Haß gegen sie einsetzte, traten die reichsten und klügsten Hebräer freiwillig zum Katholizismus über, rechtzeitig genug, um der bald kommenden Inquisition zu entgehen. Sie vermischten sich mit den Familien des Landes, und ihre Herkunft wurde allmählich vergessen. Diese Katholiken schürten mit dem Eifer der Neubekehrten die Verfolgung gegen die früheren Glaubensgenossen am meisten. Die Chuetas von heute, die einzigen Bewohner
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