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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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lange hatte Jaime diesen Ort nicht mehr betreten! In der dumpfen Luft der Kapelle schwebte noch ein verlorener Hauch von Weihrauch und Parfüm, der ihn an die Damen seiner Familie erinnerte.
    Die mattgoldenen Verzierungen des in Eiche geschnitzten Altars leuchteten schwach in der Dämmerung. Neben ihm standen ein Reiserbesen und ein Eimer, die man hier vergessen hatte, als man das letzte Mal, sicherlich vor mehreren Jahren, die Kapelle säuberte. Auf zwei mit königsblauem Samt ausgeschlagenen Betstühlen lagen noch die Gebetbücher, deren Ecken durch langen Gebrauch umgebogen waren. In dem einen erkannte er das Gebetbuch seiner Mutter, dieser schönen blassen Frau, deren Leben sich geteilt hatte zwischen dem Gebet und der zärtlichen Liebe zu ihrem Sohn. Das andere Buch mußte seiner Großmutter gehört haben.
    Den Gedanken, daß jetzt Wucherhände alles profanieren würden, konnte Jaime nicht ertragen. Unmöglich, dem beizuwohnen!
    Als der Abend gekommen war, suchte er Tòni Clapès auf und bat ihn um Geld.
    »Ich weiß nicht, wann ich es dir zurückgeben kann ... ich gehe fort von Mallorca. Mag alles zusammenbrechen, aber ich will nicht zugegen sein.«
    Clapès gab Jaime das Geld, mehr noch, als dieser erbeten hatte, und sagte:
    »Ich werde mit Hilfe von Kapitän Valls retten, was noch zu retten ist. Ihr habt euch gestern entzweit, aber trotzdem wird er dich nicht im Stich lassen.«
    »Sage niemand, außer Pablo, daß ich Palma verlasse«, bat Jaime und fügte hinzu, »du hast übrigens recht, Pablo Valls ist ein zuverlässiger Freund.«
    »Und wann gehst du?«
    »Ich warte auf den nächsten Dampfer, der nach Ibiza abgeht. Dort besitze ich noch einen alten zerfallenen Turm aus der Piratenzeit; mein früherer Pächter auf Ibiza hat es mir erzählt. Ich werde jagen und fischen und Gott sei Dank leben, ohne Menschen zu sehen.«
    Tòni Clapès schüttelte Jaime befriedigt die Hand. Die Sache mit der Chueta war begraben.
    »Gut, daß du gehst, Jaime! Das andere ... das andere war ein Irrsinn!«

Zweites Buch

I.
    Febrer betrachtete, über den Rand eines Bootes gelehnt, sein Bild, dessen Konturen mit der Bewegung der Wellen hin und her schwankten. In dem durchsichtigen Wasser konnte er den Meeresgrund erkennen. Auf dem weißen Sande lagen dunkle, mit seltsamer Vegetation bedeckte Felsblöcke, die sich von den Bergen gelöst hatten und in das Meer gerollt waren.
    Die langen feinen Haare der Algen wogten auf und ab. Runde Früchte von weißlicher Farbe, ähnlich den indianischen Feigen, wuchsen in den Spalten der Felsen. Aus der Tiefe der grünen Fluten leuchteten perlmutterfarbige Blumen. Seesterne streckten ihre bunten Spitzen aus, und wie schwarze stachlige Tintenkleckse ballten sich Seeigel zusammen. Zwischen ihnen schössen unruhig Teufelspferdchen hin und her, und inmitten wirbelnder Blasen schimmerten überall silberne Flossen.
    Es war beinahe Mittag. Jaime hatte die Segel eingezogen und hielt in einer Hand den Volanti, eine lange, mit einer Reihe von Angelhaken besetzte Schnur, die fast bis auf den Grund reichte.
    Das Boot lag im Schatten des Vedrá, eines gewaltigen Felsens, der sich dreihundert Meter steil ausdem Wasser emporreckte. Hinter ihm leuchtete das Mittelmeer, auf dem die glühende Sonne goldene Reflexe malte. In Jaimes Rücken erstreckte sich die wildzerrissene Küste von Ibiza, deren rotes Gestein wie in Feuer getaucht erschien.
    Jaime fuhr fast jeden Tag zum Fischen hierher, denn bei gutem Wetter war das Wasser in dem schmalen Kanal zwischen der Insel und dem Vedrá glatt wie ein Spiegel, aus dem die Spitzen der schwarzen Klippen harmlos emportauchten. Sobald sich aber ein starker Wind aufmachte, stürzten hohe Wellenberge mit wildem Brüllen in diesen engen Schlund, der zu einem tobenden Chaos von Wirbeln und Strömungen wurde.
    Am Bug der Barke stand der alte Ventolera, ein tüchtiger Seemann, der auf den Schiffen aller möglichen Nationen gefahren war und Jaime seit seiner Ankunft auf der Insel begleitete. Trotz seiner achtzig Jahre segelte er noch jeden Tag, bei gutem und bei schlechtem Wetter, hinaus, um zu fischen.
    Die Sonne und die salzige Luft hatten seine Gesichtshaut so tief gebräunt, daß sie aussah wie gegerbtes Leder. Die mageren Beine steckten in aufgekrempelten Hosen. Die vorn geöffnete Bluse ließ seine zottig behaarte Brust sehen. Auf dem Kopf saß eine schwarze, mit roter Troddel und breitem, rot und weiß kariertem Bande geschmückte Mütze, eine Erinnerung an seine letzte Fahrt

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