Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
Vom Netzwerk:
störte, wenn er neue Verse für seine Romanzen suchte.
    Jaime lächelte wohlwollend bei den zaghaften Worten des Sängers.
    »So, du machst Verse! Sicher sind sie einer hübschen Atlòta gewidmet?«
    Der junge Mann nickte bejahend.
    »Und wie heißt das junge Mädchen?«
    »Mandelblüte«, antwortete der Dichter.
    »Mandelblüte? ein schöner Name!«
    Durch Jaimes beifällige Worte ermutigt, erzählte der Cantó zutraulich weiter. Mandelblüte war Margalida,die Tochter Pèps von Can Mallorqui. Er hatte ihr diesen Namen gegeben, da sie ihn immer an die weißen und rosigen Blüten erinnerte, mit denen sich der Mandelbaum bedeckt, sobald die ersten lauen Winde vom Meer den Frühling ankündigen. Alle jungen Leute des Kirchspiels hatten diesen Namen aufgegriffen, und Margalida wurde seither nur Mandelblüte genannt. Mit einem kleinen Stolz bekannte der Sänger, daß er ein Talent hätte, hübsche Beinamen zu finden, die dann für immer haften blieben.
    Febrer, der lächelnd zuhörte, fragte ihn, ob er auch arbeite. Der Atlòt verneinte. Seine Eltern erlaubten es nicht. Als er eines Tages zum Markt in die Stadt gefahren war, hatte ihn ein Arzt untersucht und dann den Eltern angeraten, ihm jede Anstrengung zu ersparen. Sehr zufrieden hiermit, verlebte er nun alle Tage im Freien. Im Schatten eines Baumes ruhend, hörte er die Vögel singen und beobachtete die jungen Mädchen. Wenn in seiner Seele dann neue Lieder erwachten, ging er zum Strand und versuchte, sie in Verse zu kleiden.
    Jaime nickte ihm freundlich zu und forderte ihn auf, zu bleiben. Aber nach wenigen Schritten drehte er sich um, da das Tamburin nicht wieder ertönte. Der Sänger ging den Abhang hinunter. Er befürchtete wohl doch, den Herrn mit seiner Musik zu stören, und suchte sich einen anderen einsamen Ort.
    Febrer betrat den Turm. Was von weitem das Erdgeschoß zu sein schien, war nichts als ein kompakter Unterbau. Erst über diesem befand sich das Fenster, und in gleicher Höhe mit ihm auch die Tür. Um jegliche Überraschung durch die Piraten zu vermeiden, hatten die Wächter in alten Zeiten den Turm mit einerLeiter bestiegen, die bei Einbruch der Nacht hereingezogen wurde. Jaime benutzte eine von Pèp angefertigte, roh gearbeitete Holztreppe. Der aus Sandstein erbaute Turm war unter dem Einfluß der Seewinde stark verwittert. Viele Quadersteine hatten sich aus ihren Fugen gelöst, und die Löcher machten den Eindruck verkappter Stufen.
    Der Turm besaß nur ein einziges Gemach, einen kreisrunden Raum mit dem großen Fenster nach der offenen See. Die Mauer war so stark, daß Tür- und Fensteröffnungen wie kleine Tunnels erschienen. Pèp hatte die Wände sorgfältig mit dem blendendweißen Kalk von Ibiza verputzt, der sogar den elenden Hütten der ärmlichsten Weiler ein freundliches Ansehen gibt. Die Decke, in der sich eine Luke zur Plattform öffnete, war von dem Rauch der Fackeln geschwärzt, die früher hier gebrannt hatten.
    Zusammengenagelte und durch eine Querleiste verstärkte Bretter dienten dazu, Tür und Fenster bei Nacht zu schließen. Man befand sich noch mitten im Sommer, und Febrer, voll Ungewißheit über sein weiteres Schicksal, oder vielmehr gleichgültig gegen seine Zukunft, verschob alle Arbeiten für eine endgültige Einrichtung auf später.
    Trotz seines primitiven Zustandes liebte er seinen Zufluchtsort. Überall bemerkte er Spuren von Pèps gewandter Hand und Margalidas Fürsorge. Die Wand, die drei Stühle und der Tisch wurden von der Tochter seines früheren Pächters peinlich sauber gehalten. An eisernen Haken hingen sein Fischgerät, Flinte und Patronentasche. Muscheln mit Perlmutterglanz waren fächerartig angebracht. Zwei besonders große mit stachligen Schalen, deren Inneres rosafarbig leuchtete,schmückten den Tisch. Sie waren ein Geschenk von Ventolera. Beim Fenster lagen zusammengerollt Matratze, Kissen und Bettücher. Jeden Nachmittag kam Margalida oder ihre Mutter, um das einfache Lager zu bereiten, auf dem Jaime besser schlief als in dem Prunkbett seines Palastes.
    Wenn der alte Ventolera ihn nicht bei Nacht und Nebel weckte, blieb Jaime länger liegen. Dann lauschte er dem sanften Rauschen der Wogen, dem ewigen Wiegenliede des Meeres. Die Sonne, die durch die Spalten hereindrang, zeichnete goldene Streifen auf die weiße Wand. Möwen flogen um den Turm, so nahe, daß er ihr leises Flügel schlagen hören konnte.
    Abends ging er meistens früh zu Bett und hing häufig mit weit offenen Augen seinen Gedanken nach. Was

Weitere Kostenlose Bücher