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Die Toten befehlen

Titel: Die Toten befehlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vincente Blasco Ibañez
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zwischen seine Knie nahm und den Fang Stück für Stück mit Befriedigung betastete.
    Sie umsegelten ein Vorgebirge, und vor ihnen lag ein anderer Teil der Küste. Auf einem niedrigen Berge, dessen rote Felsen stellenweise unter dunklem Gebüsch verschwanden, erhob sich ein kurzer, dicker Turm, mit keiner anderen Öffnung auf der Seeseiteals einem Fenster, das wie ein großes, schwarzes Loch gähnte. Auf der Zinne des Turms war eine Schießscharte angebracht, die in alten Zeiten dazu gedient hatte, eine kleine Kanone aufzustellen. Landeinwärts fiel das Gelände sanft ab und war dicht mit Bäumen bepflanzt, aus denen ein Gehöft wie ein weißer Fleck hervorlugte.
    In der Höhe des Turms angelangt, steuerte Jahne in eine kleine Bucht. Langsam fuhr der Kiel auf dem weichen Sande auf. Der Alte zog das Segel ein und machte das Boot an einem Felsen fest. Dann sprangen beide an Land.
    »Werden wir heute nachmittag wieder ausfahren, Don Jahne?«
    Febrer verneinte, verabredete sich aber für den nächsten Tag.
    »Gut«, sagte Ventplera, »ich werde Ihnen morgen früh von hier den Introitus singen, damit Sie auch rechtzeitig aufwachen, denn beim Morgengrauen müssen wir schon am Vedrá sein.«
    Er nahm den Fischkorb auf und ging landeinwärts.
    »Väterchen Ventolera, gib doch im Vorbeigehen meinen Anteil Margalida und bestelle, daß man mir bald das Mittagessen bringt!« rief Jaime ihm nach.
    Der Alte nickte mit dem Kopfe, und Jaime wandte sich zum Turme. Sein Weg führte zuerst am Strande entlang, in dessen feuchtem Sande seine Sandalen ihre Spuren zurückließen. Dann begann er den mit dichtem Tamariskengebüsch bewachsenen Abhang emporzusteigen. Das Geräusch seiner Schritte jagte die wilden Kaninchen in panische Flucht und schreckte smaragdgrüne Eidechsen auf, die sich faul auf dem steinigen Boden gesonnt hatten.
    Das Rascheln im Gestrüpp übertönend, klang an Jaimes Ohr ein schwaches Tamburinschlagen und eine Stimme, die leise im Dialekte von Ibiza sang. Manchmal brach sie ab, um die ersten Verse zu wiederholen, bis es ihr gelang, eine Fortsetzung zu finden. Jede Strophe schloß mit einem langgezogenen, gutturalen Ton, in der Art, wie die Araber ihre Lieder beenden. Als Febrer den Gipfel erreicht hatte, sah er den Sänger, der, in den Anblick des Meeres versunken, auf einem Stein hinter dem Turme saß.
    Das blau bemalte und mit vergoldeten Blumen und Arabesken verzierte Tamburin stützte er auf ein Bein. Der linke Arm, in dessen Hand sein Gesicht ruhte, lag auf dem Instrument. Seine rechte Hand hielt ein kurzes Stäbchen, mit dem er langsam auf dem Tamburin die Begleitung schlug. Ganz vertieft in seine Improvisationen verweilte er in dieser nachdenklichen Stellung.
    Man nannte ihn den Cantó, weil er bei den Tänzen und Serenaden Lieder und Romanzen vortrug. Er hatte eine schlanke Figur, sehr schmale Schultern und konnte höchstens achtzehn Jahre alt sein. Manchmal wurde sein Gesang von einem trockenen Husten unterbrochen, dessen Erschütterung sein blasses Gesicht rötete. Seine Augen waren groß wie die Augen einer Frau. Stets ging er wie zum Fest gekleidet, Hosen aus blauem Samt, scharlachrote Schärpe und Krawatte, dazu ein Halstuch, dessen gestickte Kante auf die Brust herabfiel. Hinter jedem Ohr trug er eine Rose. Als Febrer diesen weiblichen Schmuck sah, die samtartigen Augen und den durchsichtigen Teint, verglich er den Burschen unwillkürlich mit einer dieser blutleeren Jungfrauen, die von der modernen Kunstso gern idealisiert werden. Aber auf der Schärpe dieser Jungfrau zeichneten sich beunruhigende Konturen ab, zweifellos ein Dolchmesser oder eine Pistole, die unzertrennlichen Begleiter jedes Atlòts auf Ibiza.
    Sobald der Sänger Jahne bemerkte, erhob er sich, berührte mit der Hand leicht die Krempe seines Hutes und grüßte höflich:
    »Bón dia tengui!«
    Wie jedermann auf Mallorca hatte auch Febrer an die Wildheit der Bewohner von Ibiza geglaubt. Um so mehr überraschte ihn ihr höfliches Benehmen, wenn er ihnen begegnete. Häufig kam es vor, daß sie einander töteten, aber der Fremde wurde von ihnen mit derselben traditionellen Gewissenhaftigkeit respektiert, die der Araber dem Mann entgegenbringt, der um Gastfreundschaft unter seinem Zelte bittet.
    Der Cantó schien beschämt zu sein, daß der Herr von Mallorca ihn auf seinem Grund und Boden traf, und murmelte einige Entschuldigungen. Er liebte es, das Meer von der Höhe herab zu betrachten, und saß gern im Schatten des Turms, wo ihn kein Freund

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